Tagebuch

2.-25.8.24

Wer diesen Eintrag lesen möchte, dem empfehle ich als Hintergrund die Lektüre meiner gestrigen Predigt in Waldkirch auf dieser Homepage unter „Predigten“.

Mit dem Doppelpack zum Fußballspiel – so möchte ich die folgenden Zeilen überschreiben. Mit Doppelpack meine ich Licht und Salz, das zu sein, Jesus (nicht nur) seinen Anhängern zugesagt hat. Das gestrige Fußballspiel in Bahlingen hatte einen Vorlauf. Kurzum: die Bahlinger sind auf die Kickers bzw. deren Vorstandschaft nicht gut zu sprechen. Deshalb wurde dieses Beispiel als Risikospiel eingestuft. Es fand am Sonntag statt, weil am Samstag bereits das Erstligaspiel zwischen Freiburg und Stuttgart als Risikospiel galt und für zwei Spiele nicht genügend Polizei zur Verfügung gestanden hätte.

Schon beim Mittagessen spürte ich dieses Kribbeln in der Bauchgegend. Ich kenne es aus der Zeit, als ich noch aktiver Fußballer war. Ich habe mich gefragt, was die Massen in die Stadien treibt. Es ist die Unsicherheit. Sie erzeugt eine ungeheure Spannung. Die Unsicherheit ist es, die das Spiel (jedes Spiel) zum Ereignis macht. Die Unsicherheit erstreckt sich darauf, wie das Spiel ausgeht: Sieg, Niederlage, Unentschieden. Weniger und mehr gibt es nicht. Die Unsicherheit über den Ausgang des Spiels macht die Magie des Spiels aus. Das wird immer so bleiben, weil niemand das Ergebnis eines Spiels vorhersagen kann – außer es wird manipuliert.

Ich fuhr mit dem Fahrrad zum Stadion. Ich stand in einer Schlange. 10 Euro Eintritt. Sehr laute Musik empfing mich. Der Lautsprecher war guter Laune. Noch. Das Spiel begann. Nach 6 Minuten lag Bahlingen mit 2 Toren im Rückstand. Nach 20 Minuten stand es 4:0 für die Kickers. Seine Fans hinter den Absperrgittern waren bester Laune. Ich sprach mit ein paar hartgesottenen Kickers-Fans. Die sind von Offenbach nach Bahlingen gefahren. Das muss man sich geben. Erzähl mir doch keiner, man könne nicht nach Teningen zu einem Gottesdienst fahren. Also! Ich weiß nicht, was es war. Spielt auch keine Rolle. Das Spiel war nach 20 Minuten gelaufen. Die Bahlinger waren ruhig und enttäuscht. Die Kickers waren froh und zufrieden. Und ich hatte meinen Doppelpack dabei. Und auf einmal war ich in Gesellschaft mit drei sehr interessanten Männern. Haben angesehene Berufe und es zu etwas gebracht. Den einen kannte ich schon. Die zwei anderen waren seine Freunde. Und es kamen die Frauen dazu. Das Gespräch zwischen uns war lebendiger und erfolgreicher als der Kick nebenan. Licht und Salz! Eine Frau erzählte mir, dass sie Kirchengemeinderätin in einer Gemeinde im Kaiserstuhl ist. Davor war sie viele Jahre Sekretärin. Für einen Mann konnte ich der aufmerksame Zuhörer sein. Probleme nimmt man auch auf den Kickplatz mit.

Licht und Salz bzw. Sein Zutrauen zu mir haben´s gerichtet! Es gab nichts zu befürchten. Bereichert, glücklich und überzeugt von der Wirkung des Doppelpacks ging ich nach Hause.

Vertrauen ist alles. Vor allem in Seine Worte!

6.7.-1.8.24

Die letzten Wochen waren geprägt vom Beenden. Das war schwer, denn ich habe mich von zwei „Leidenschaften“ getrennt: das Oboe spielen und das Unterrichten in der Schule. Das erste hat mich seit meinem 14. Lebensjahr begleitet. Vor mir hängt eine großes Foto aus dem Jahr 1974. Es zeigt ein Bläsersextett (2 Oboen, 2 Hörner, 2 Fagotte), das im Rahmen eines Schulkonzerts  in der vollbesetzten Aula spielt. Ich spielte die 1. Oboe und war verantwortlich für Einsätze und Tempi. Ich war der Erste, der in St. Georgen Oboe spielte. Ich spielte sie auch im Schulorchester. Ich erinnere mich gerne an unsere Orchesterfahrten nach St. Raphael und Barcelona. So richtig in die Oboe reingefunden habe ich mich nach dem Abitur nicht mehr. Als ich jetzt wieder auf ein Konzert des Blockflötenensembles „Holzsplitter“ wieder rein finden wollte, hat mich ein Gespräch mit meinem Physiotherapeuten nachdenklich gemacht. Und dann habe ich mich entschieden, nicht mehr zu spielen. Tut schon weh! 

 

Den Religionsunterricht habe ich auch beendet. Ich habe den Unterricht immer gerne erteilt, wenngleich ich mir zu meiner aktiven Zeit mehr Zeit, Raum und Energie dafür gewünscht hätte. Ich habe alle Schularten unterrichtet: Grundschule, Realschule, Oberstufe, Hauptschule. Wäre also auch ein guter Schuldekan geworden. Aber die da Oben wollten das nicht. Selber schuld! Als ich wegen einer Vertretung angefragt wurde, habe ich erst kurz gezögert aber dann doch Ja gesagt. So habe ich einige Wochen an der Grundschule hier in Bahlingen unterrichtet. Allerdings habe ich bald gemerkt, dass mir ein längerfristiges Engagement ein Eingezwängt sein in ein zu funktionierendes „Zwang System“ nur Ärger, Unverständnis und ein großes Unbehagen bringt. Das war´s mir dann doch nicht wert. Es tat mir ehrlich leid – aber nur wegen der tollen Schülerinnen und Schüler. Die 4. Klässler, die ich zuletzt unterrichtet habe, schrieben mir eine Karte. Darauf stand: Lieber Herr Förschler! Wir konnten Ihnen ALLES erzählen. Danke!

Und auf einmal tut sich was Neues auf…

24.6.-5.7.24

Die Zeit hat es gebraucht, um nach dem Urlaub in Bahlingen anzukommen. Drei Wochen Sardinien waren prägend für Haut und Seele. Wir haben ja mitgenommen, was uns beschäftigte, konnten insularisch einiges regeln und entscheiden. Aber eben nicht alles. Zu Hause angekommen machten wir die Erfahrung: Probleme kann man durch räumlichen Abstand oft nicht lösen, aber zurück ändert sich die Einstellung zu ihnen. Unser Problem seit 2019 ist unsere Wohnung in der Burgstraße 5. Über ihr wurde – wie in allen anderen Wohnungen auch – statt einer Trittschall- eine Wärmedämmung eingebaut. Das macht das Wohnen darin fast unmöglich. Viele Jahre war die Wohnung über uns deshalb leergestanden. Letztes Jahr hat der Vermieter die Decke verstärkt und sie dann ab 1.10.23 vermietet. Seitdem leiden wir unter dem Trittschall. Dieses Problem hat uns also nach dem Urlaub wieder eingeholt. Aber wir agieren. Dazu gehörte auch dieser Brief an die Vermieter:

„Seit dem 1.10.2023 haben Sie Ihre Wohnung in der Burgstraße 5 vermietet. Seitdem ist unser tägliches Leben durch den fehlenden Trittschall durch das Lauf- und Bewegungsverhalten Ihrer Mieter stark beeinträchtigt. Stand heute ist es sogar nicht mehr zu ertragen. Es ist so weit, dass wir in unserer Wohnung dem Trittschall von oben ausweichen müssen, um einigermaßen Ruhe zu haben. Als wir kürzlich von einem Nachbar aus der Burgstraße besucht wurden, war er überrascht, wie stark er den Trittschall wahrnimmt. Er machte uns darauf aufmerksam, dass die Lampe und unser Büffet wackelten. Er meinte, dass unsere Wohnung nicht bewohnbar sei. Uns bleibt nichts anderes übrig, als in der Wohnung zurechtzukommen. Wir haben keine Möglichkeit, uns zurückzuziehen. Von einem guten Freund wurden wir darauf hingewiesen, dass dieser unser jetziger Zustand einer Bestimmung des Grundgesetzes zuwiderläuft, in dem die Unverletzlichkeit der Wohnung als Persönlichkeitsrecht und das Recht, „in Ruhe gelassen zu werden.“, garantiert werden. Im Grundgesetz (Artikel 13 Absatz 1) wird also bestimmt, dass niemand in seiner Privatsphäre gestört oder beeinträchtigt werden darf. Wird dagegen verstoßen, so ist das nach dem Strafgesetzbuch als Körperverletzung zu werten. Wir haben das auch mit unseren Ärzten besprochen und sie machten uns bei weiter anhaltender Trittschallstörung auf gravierende physische und psychische Erkrankungen aufmerksam. Das sei wissenschaftlich untersucht und bewiesen.

Wir verstehen, dass Sie nach über zwei Jahren Ihre Wohnung vermieten wollten. Sie haben mit dem Mietausfall von 46.000 Euro sehr viel Geld zu erstreiten. Außerdem sind Sie bei der Deckensanierung in Ihrer Wohnung in Vorleistung getreten. Unser Anwalt hat uns davon abgeraten.

Wir haben hin- und herüberlegt, was wir tun können. Dieser Brief an Sie gehört dazu. Wir möchten, dass Sie unsere prekäre Lage kennen. Sie wollten bestimmt nicht mit uns tauschen wollen. Wir möchten Ihnen zwei Vorschläge machen.

In der Hausordnung sind die Ruhezeiten wie folgt geregelt: Mittagsruhe von 13:30 – 14:30 Uhr und Nachtruhe ab 22:00 Uhr. Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie Ihre Mieter auffordern würden, während dieser Zeiten ihr Lauf- und Bewegungsaktivitäten deutlich einzuschränken. Es kann nicht sein, dass wir unsere Schlaf- und Erholungszeiten nach unseren Obermietern richten müssen.

Des Weiteren wäre es aus unserer Sicht denkbar und für die Mieter zumutbar, mit dämmenden Hausschuhen in der Wohnung unterwegs zu sein und wo nötig, Teppiche auszulegen. Zumindest so lange, bis sich für unsere Wohnung eine befriedigende Lösung gefunden hat.

Es geht uns bei unseren Vorschlägen darum, dass Sie weiter Ihre Miete bekommen und wir einigermaßen ruhig leben können. Wir wären Ihnen also sehr verbunden, wenn Sie sich unsere Vorschläge zu eigen machen könnten.

Wir hoffen sehr auf Ihr Verständnis und Ihr Entgegenkommen.“

23.6.24

„Da schickt Gott den Nathan zu David. Beachte: Gott redet noch mit dem Sünder, er bricht den Kontakt nicht ab. Gott will David zurechtbringen, er will ihm heimleuchten, ihm vorausgehen, ihm den Weg zeigen. Nathan erzählt dem David ein Gleichnis, auf das David mit Empörung reagiert: «Dieser Kerl wird die Todesstrafe schmecken!» Man beachte: Das Rechtsempfinden des Sünders ist noch intakt. Nathan bestätigt: «Finde ich auch, nur – du bist dieser Mann!» Der Angeklagte spricht sich sein Urteil selber. Während Nathan noch nach dem Hinterausgang guckt, redet David sich nicht heraus. Sein Gewissen ist noch intakt. Nathan sagt David: «Du bist Goliath geworden. Alles, was du an Goliath verabscheut hast, bist du durch die Sünde geworden.» Die Szene endet im Gebet (Psalm 51): «Schaffe in mir, Gott, ein reines – ein ungeteiltes – Herz und gib mir einen neuen Geist, der deiner Gnade gewiss ist.» Merke: Ein Mann auf den Knien ist niemals unmännlich.“

Andreas Malessa (Anm.: Wird Schuld durch Reue gesühnt? Und wie steht es damit, dass ein König Ehebruch begeht, wo er doch Vorbild für das Volk sein sollte? Geht es um „männlich“ oder „menschlich“? Malessa teilt leider nicht mit, dass die Sünde des David eine systemische Konsequenz im Ergehen seiner Söhne hat. Demnach ist Schuld generationentoxisch – und das bleibt sie, solange Menschen sich an anderen vergehen…Ewald Förschler)

22.6.24

„Mächtig und reich geworden, liegt David gelangweilt auf dem Dach und bestellt die badende Bathseba zu sich, um mit ihr zu schlafen – obwohl sie die Ehefrau seines Feldherrn Urjia ist. Als Bathseba schwanger wird, gewährt David Urjia großzügig Heimaturlaub. Dieser aber bleibt aus Solidarität bei seinen Soldaten, was Plan B erforderlich macht: David befielt ein Himmelfahrtskommando, was unweigerlich zum Tod des gehörnten Urjia führt. Wenn die Empörung den Siedepunkt überschritten hat. Wie reagiert Gott? Soll David einfach davonkommen?“

Andreas Malessa

21.6.24

«Und es war ein Mann in Maron, der besaß ein großes Vermögen. Er hieß Nabal und seine Frau Abigail war von Verstand und schön von Angesicht.» Die Kalebiter sind beim Schafschurfest. «Als nun David hörte, dass Nabal seine Schafe schor…» Was folgt, ist eine Schutzgelderpressung in blumigen Worten. David umringen 400 bewaffnete Desperados (vgl. 1. Samuel 22). Nabals Antwort beweist, was für ein Depp er ist. Er beleidigt David grad dreifach: Wer ist David? Nie gehört! Es gibt so viele Knechte, die ihren Herren davongelaufen sind! Da sprach David zu seinen Männern: «Gürte ein jeder sein Schwert.» Konkret: Ein Massaker liegt in der Luft. Da eilt Abigail ohne das Wissen ihres Mannes Nabal, nimmt Brote, Schafe und Wein, Feigen und Rosinenkuchen, lädt alles auf Esel und eilt David entgegen. Man beachte die Speisenfolge! Abigail präsentiert sich sozusagen als Dessert: «Achte nicht auf meinen heillosen Mann, mein Herr. Mögen deine Feinde und alle, die dir übelwollen, wie Nabal werden. Gott hat dich davor bewahrt, in Blutschuld zu geraten. Und wenn Gott dir wohltun wird, so wollest du an deine Magd denken.» Durch die Blume: «Um das Ableben von Nabal kümmere ich mich.» David lässt sich
überzeugen, nimmt von einem ursprünglichen Plan Abstand und unterlässt das Massaker. (1. Samuel 25)

Andreas Malessa

20.6.24

„Elisabeth Valontaire: «Ob es für einen kleinen Jungen erstrebenswert ist, ein Mann zu werden, hängt davon ab, wie er seinen Vater und Großvater körperlich erlebt hat, ob die beiden Zugang zu ihrer Gefühlswelt hatten, ob er den Papa oder den Opa mal lachend und weinend, schwitzend und erschöpft, jubelnd vor Freude oder zitternd vor Angst erleben konnte.»

Als nach langen Kriegsjahren und politischen Wirren die heiligen Gerätschaften des Tempels (Bundeslade) endlich in Davids Heimat zurückgeführt werden und sich Frieden abzeichnet, tanzt der königliche Würdenträger fröhlich durch die Straßen der Hauptstadt. Seine Frau Michal schaut im doppelten Sinn auf ihren Mann herab und sagt – männlich argumentierend –: «Wie sieht das denn aus!» David argumentiert weiblich: «Ich schäme mich meiner Freudentränen nicht.» David legt eine Unbekümmertheit und eine Bereitschaft zu Verletzlichkeit an den Tag, die in der Postmoderne kaum mehr Platz hat.“

Andreas Malessa

19.6.24

„Oft zeichnen sich Männerbeziehungen durch Konkurrenz aus. Männerfreundschaft meint eigentlich eine tiefe, ehrliche Beziehung, in der es möglich ist, über sich und seine Gefühle zu reden. David hat einen Freund: «Da schloss Jonathan David in sein Herz und gewann ihn lieb wie sein eigenes Leben.» Von der Vergangenheit und Zukunft her sind die beiden komplett verschieden. Ihre Freundschaft aber hält den politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen stand.“ (1. Samuel 18)

Andreas Malessa

18.6.24

„Die feindliche Armee der Philister schickt einen Riesen ins Rennen, weshalb der amtierende Feldherr Saul nie und nimmer auf den unscheinbaren David als möglichen Kämpfer gekommen wäre. David taucht nur an der Front auf, weil er seinen Brüdern etwas zu essen bringen will. Saul ist verzweifelt genug, um zu sagen: «Dann probier’s halt.» Saul denkt in männlichen Kategorien: Viel ist viel. Er staffiert den kleinen David mit Schwert, Panzerschild und Helm aus, worauf dieser sich nicht mehr bewegen kann. Während es Saul um Statussymbole geht, entscheidet sich David nicht für eine Materialschlacht, sondern für fünf Kieselsteine und einen Lederbeutel. Goliath unterschätzt den Gegner, lacht sich schlapp und sackt dann tödlich getroffen zusammen.
Was machte Goliath so hässlich und furchterregend? Was machte David so wütend? Woher bezog David seinen Kampfesmut und Siegeswillen? «Weil du Gott, den Herrn, den Hüter des Rechts, verhöhnt hast.» Die Missachtung Gottes macht David wütend.“ (1. Samuel 17)

Andreas Malessa

17.6.24

«Gott ist ein Verb: ‘Ich bin der immer mit dir sein Werdende.’»

Andreas Malessa

16.6.24

«Die Werbung mobilisiert unsere Wünsche, wer aber mobilisiert unseren Willen?»

Andreas Malessa

15.6.24

„Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an.“ Wir leben in einer oberflächenfixierten Gesellschaft der Bilderflut. Nicht nur Frauen, inzwischen auch Männer bekommen je nach Aussehen bei Bewerbungsgesprächen mehr oder weniger Einstiegsgehalt angeboten. Männer über 1.80 und unter 75 kg haben beim Vorstellungsgespräch von vornherein bessere Chancen. Faktisch aber entsprechen 90% der Menschen nicht den gängigen Schönheitsidealen. In der Bibel läuft es anders. Dazu ein Beispiel aus 1. Samuel 16.

Der Prophet Samuel sucht als Headhunter für die Thronfolge Isai auf, der daraufhin seine Söhne aufmarschieren lässt. Samuel fragt Isai: «Hast du noch andere Söhne?» Worauf dieser antwortet: „Ja – einer ist noch bei den Schafen. Er heißt David.“ Was zeichnet David aus? Fürsorge und Betreuung Schutzbefohlener ist ihm wichtig. Eigenschaften eines Hirten: Fürsorglich, sanft, vorausschauend, zäh, mutig, umsichtig, verantwortungsvoll, fach- und sachkundig. Ein Hirte kalkuliert die zu wandernden Wegzeiten anhand der Kapazität seiner schwächsten Schafe. Ein Hirte muss seine Autorität nicht mit Imponiergehabe beanspruchen, weil er eine Autorität ist. Wer eine Autorität ist, muss nicht autoritär sein. Die Herde bewegt sich, wenn der Hirte vorausgeht. Der Hirte muss also wissen, wo er hinwill, und er muss tatsächlich verlässlich vorangehen. David wird von den Schafen weggeholt und von Samuel zum künftigen König von Israel gesalbt (d.h. nominiert).

Andreas Malessa (red. Ewald Förschler)

14.6.24

«Paulus hat für uns Jesus auf Europäisch übersetzt.»

Andreas Malessa

13.6.24

«Gottes Wort in Menschen Mund ist Teil seines Abstieges und seines Sich-uns-verständlich-Machens.»

Andreas Malessa

12.6.24

«Die Menschen im antiken Orient verstanden sich von der Sippe her: Ihre einzige Hoffnung war ein Weiterleben in den Weiterlebenden. Kinderlosigkeit kam damals einem Gestorben sein zu Lebzeiten gleich.»

Andreas Malessa

11.6.24

«Die Sünde entfremdet mich von mir, macht mich zu dem, der ich nie werden wollte.»

Andreas Malessa

10.6.24

«Der erste im Neuen Testament, der die Bibel wörtlich nimmt, ist der Teufel.» vgl. Matthäus 4

Andreas Malessa

9.6.24

«Nicht Kriegsflüchtlinge plündern die Staatskasse, sondern Steuerflüchtlinge.»

Andreas Malessa

8.6.24

«Ich will der Bibel vertrauen, weil sie meinen inneren Dialog mit dem Auferstandenen stimuliert und von Christus her ausgelegt wird.»

Andreas Malessa

7.6.24

«Die Bibel überzeugt nicht mit Argumenten, sondern mit Geschichten, die uns zu einem Vertrauensschritt animieren. Die Bibel kalibriert unseren inneren Kompass.»

Andreas Malessa

6.6.24

Wortraumschätze

  • Ich möchte nicht verzichten auf die Idee, dass diese Welt einen Ursprung hat. Einen Schöpfer, der uns ins Leben geliebt hat und mit dieser Schöpfung zum Ziel kommt. Aus Liebe wurden wir geboren. Liebe ist unsere Mutter.
  • Ich will die Zukunft nicht ohne diese Hoffnung denken und ich werde mich nicht auf das Diesseits vertrösten lassen. Gott wird unsere Tränen trocknen.
  • Ich bin zuhause im Christentum. Ein Haus, das wohnlich ist für mich; in das ich gerne einlade, auch wenn ich mich nicht in allen Zimmern gleich wohl fühle. Es ist für mich eine Art Villa Kunterbunt. Die Kleinen finden Platz. Wunder sind möglich. Es gibt eine Schatztruhe voller Goldstücke. Das ist mal ein schönes Bild für Gnade. Und es gibt dieses lindkrineske Urvertrauen: die Mama im Himmel ist immer da! Es gibt auch Tommies und Annikas. Willkommen! Es gibt auch Polizisten und Brüselise. Auch willkommen! Und es gibt die heilige Geistkraft. Und die hat manchmal rote Zöpfe.
  • Die große Erzählung von Jesus, dem Christus, gibt meinem Leben den Rhythmus. Ich feiere im Advent die Schönheit des Wartens. 24 Türchen zu öffnen in einer Welt, die so oft Türen zuschlägt. Ich liebe das Geheimnis von Weihnachten: das Heilige in der Mitte dieser Welt. Ja sogar die Jungfrauengeburt. Was für eine Entlastung! Wir schaffen uns nicht allein! Dass Jesus weiß, was es heißt, ein Mensch zu sein; dass er diese Welt kennt mit ihren vielen irritierenden Erfahrungen. Die Hingabe, das Widerständige, seine Empathie; dass er einseitig war, so ein Grenzgänger; präsent für die Armen und die Außenseiter; dass ich seinetwegen bei reich nicht zuerst an Geld denke, sondern an eine Gemeinschaft der Würde; dass er nicht über diese Erde stolziert ist, sondern sich tief in unser Leben eingegraben hat; ich teile die Überzeugung seiner Passion: freiwillig übernommenes Leiden hat verändernde Kraft. Ich schätze so sehr, dass das Christentum von seinem Wesen her nicht nur auf Glück aus ist; dass es weiß: kein Leben ist unverletzt. Es gibt kein Leben ohne Tragik, ohne Brüche, ohne „Warum, mein Gott?“, ohne Abgründe und Leiden. Und gerade darin zeigt sich Gottes Zuwendung. Eine gleichgültige Glücksreligion würde mich persönlich gar nicht interessieren. Oder anders gesagt: Ich würde ihr nicht trauen. Wer wäre ich ohne Ostern? Auferweckungsenergie. Diese gründliche Unterbrechung. Ich will nicht auf den 7. Tag verzichten. Jeder Sonntag erinnert mich wieder und wieder daran: die Liebe ist stärker als der Tod. Zu glauben, Gott zu vertrauen fasziniert und beseelt mich mehr als hoffen könnte. Gottesvertrauen ist für mich die Gegenbewegung zum Zynismus und ein Schutz vor Selbstüberschätzung. Und noch mal. Ich bin ausgesprochen verliebt in die Idee der Gnade. Das Recht, ein anderer Mensch zu werden. Voraussetzungslose neue Chance.
  • Ich bin sehr gerne Protestantin. Ich schätze die Mündigkeit und die Beteiligung, keinen Papst zu haben, sondern eine Anna Nicole oder Gremien und Umfragen. Oder wie es Dorothee Sölle sagt: „Evangelisch sein heißt, keinen Papst zu haben, sondern ein Buch.“ Ja, die Bibel. Diese großartige Erzählerin ist älter und weit weiser als wir. Diese durchgebeteten Worte. Dieses Buch, das die Natur Schöpfung nennt. Wir leben im Geliehenen. Ihre klare Entscheidung für die Armen; dass sie uns an unsere Wurzel erinnert. Ja, wir werden von einer Wurzel getragen. Wie wunderschön sie Wünsche äußert, die Bibel. Diese leise Stimme, die flüstert „Liebt unbedingt!“ Ich berge mich im Größeren. Ich brauche auch einen anderen Geist, weil der Zeitgeist mir so gerne seine Botschaft diktieren will. Abendmahl hilft mir, in dieser Welt auf Wandlung zu hoffen und zeigt mir, dass wir teilen können. Im Beten übe ich freie Meinungsäußerung, eine Sprache ohne Lüge und Zensur. Und jetzt sind wir am Ende des Kirchenjahres und ich freue mich über das Buch des Lebens. Es gibt einen Ort für unsere Toten. In Gott sind alle Lebensgeschichten bewahrt und werden bis ins Happy End erzählt. Ich bin gerne die Schwester von Jesus, dem Christus. Ich habe mich angefreundet damit, seinen Namen zu tragen – Christina. Er ist der charmante Komplize unserer Hoffnung.

So weit mal meine Liebeserklärung mit einigen Wortschätzen unserer Erzählgemeinschaft. Morgen ist Astrid Lindgrens Geburtstag. Die neueste Biographie über sie hat den Titel „Eine wie sie fehlt in dieser Zeit“. Ohne Kirche fehlt mir etwas. Mit Kirche fehlt mir erst recht etwas. Das ist das Schönste, was ich über Kirche sagen kann: In der Kirche wird meine Sehnsucht größer. In der Kirche wächst meine Hoffnung. Sie wird dort gefüttert. Morgen ist auch in 40 Tagen Weihnachten. 40 Tage ist in vielen spirituellen Traditionen eine besondere Zeitspanne. Auch so ein Schatz. Aber ich hatte nur 20 Minuten. Und die sind jetzt um. Ich bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

5.6.24

Erzählraum-Erfahrung 2 – Warum in der Kirche sein?

Ich teile noch eine Erfahrung. Es war eine Lesung mit Navid Kermani. Er las aus einem Buch, in dem ein Vater Abend für Abend seiner Tochter erzählt von seiner eigenen und dann überhaupt von Gott, von der Liebe, vom Tod, von Zweifeln, vom Beten und von Moral, von Spenden und Verzichten und vom Schutz der Schöpfung. Und dann sagte er: „Bei der Religion muss es doch auch noch um etwas anderes gehen als um Moral. Nicht nur darum, gute Menschen zu sein. Religion soll wohl heute die richtige Meinung vertreten. Aber darauf, dass man Flüchtlingen hilft, kann man schon selber kommen. Dazu braucht man keine Religion. Es steht in den heiligen Texten. Nur bei Religion geht es nicht nur um das, was uns der gesunde Menschenverstand sowieso sagt.“ Dann kam aus dem Publikum eine Frage: „Braucht es für den Glauben eine Gemeinde?“ Kann man sich ja fragen. Und Kermani antwortete: „Nun! Es braucht mindestens eine Sprache.“ – „Allerspätestens bei einer Beerdigung merken wir, wie verloren wir wären, wenn wir keine Worte hätten; wenn wir nicht eingeübt hätten, wie wir unsere Toten begraben. Sollen wir uns das selbst ausdenken? Ist es nicht gut, dass hunderte Jahre Menschheit uns Worte, Gesten und Symbole hinterließen?“ Ich zitiere noch einen Wortfreund, Fulbert Steffensky. Er sagt: „Es könnte sein, dass wir als Kirche, um der Gesellschaft einzuleuchten, nur noch das erzählen, was ihr sowieso einleuchtet. Die Gefahr ist, dass wir bei den Sagbarkeiten bleiben aus eigener Glaubensschwäche. Dass wir uns darauf beschränken, das aus der Bibel herauszulesen, was man mit menschlicher Stimme sagen kann: ein bisschen Moral und ein bisschen Menschlichkeit. Moral und Menschlichkeit sind viel. Aber die Bibel ist das Buch, das Gott und Christus nennt.“ Ich persönlich sage das so: Mitglied in einer Partei bin ich, weil ich das vernünftig finde, weil wir Moral und Menschlichkeit brauchen. Mitglied in der evangelischen Kirche bin ich, weil ich Kraft brauche für Moral und Menschlichkeit. Mitglied in einer Partei bin ich geworden angesichts der großen Krisen unserer Zeit – vor allem wegen der Sorge um das Klima und um die offene Gesellschaft. Mitglied in der evangelischen Kirche bin ich geblieben, weil ich in den großen Krisen Kraft brauche, die über mich hinausgeht. Ich brauche mehr, als ich beweisen kann und selber leisten, etwas ganz anderes: Gott, die Ewige, die Treue, Güte ohne Ende. Ich brauche Zeit, von einer anderen Welt zu träumen. Hoffnung, Zuversicht und eine Gemeinschaft, die diese Schätze erinnert und feiert, weil es Dinge gibt, die wir nicht sehen, die aber ändern, wie wir die Dinge sehen.

Und daher teile ich noch eine paar Glaubenssätze mit Ihnen. Ein paar Wortschätze. Es ist eine Art Liebeserklärung.

4.6.24

Hinter dem Ofen ist kein guter Ort

Verehrte, engagierte Geschwister! Menschenskinder! Zeigen wir, was wir haben. Ja, mit Respekt, mit Neugier, mit Toleranz. Aber bitte, liebe Kirche! Teile deine Wortschätze! Unsere Schätze – teilen wir sie! Die Schönheit unseres Gottvertrauens, die großen Grundsätze und die Bilder dieser Hoffnung und Haltungen, die Geschichten, die dazugehören: weiße Taube, weiß wie Schnee, Regenbogen, Sterne, Wind, ein Kind, Wolf und Lamm gemeinsam, Esel und Eselinnen auch, Brunnen, Brot, Lilien, lange Tafeln mit Gästen aus allen Himmelsrichtungen, Schwerter, die zum Pflug werden. Caroline Emke nennt die biblischen Texte so schön „ein Kernreservoir“. Ich sage gerne Urgut.

3.6.24

Arten der Sprachlosigkeit

Manchmal sind wir sprachlos. Das ist in dieser Welt angemessen. Es gibt diese feine Sorte „Sprachlosigkeit“, die erst mal mitweint und direkt rät oder erklärt oder Gott verteidigt. Es gibt aber auch eine „Sprachlosigkeit“, die mit Scham oder Scheu zu tun hat. „Ich kann mich zu innersten Haltungen nicht äußern. Ich will nicht sichtbar werden.“

Es gibt auch eine Sprachlosigkeit, die mit Leere zu tun hat. Es ist einfach nichts da. Und da wird bei einer Idee wie der Jungfrauengeburt müde gelächelt („Das ist ja so eine peinliche Idee: Geboren von der Jungfrau Maria!“). Weil der Schatz hinter dieser Idee nicht erobert wurde: dass wir uns nicht uns selbst verdanken; dass das Leben immer ein Wunder ist; dass ich zu meinem Gottvertrauen gekommen bin wie die Jungfrau zum Kind. Wir nennen das Gnade. Und das ist auch echt ein altes Wort und wirklich nicht leicht verständlich, auch wenn es sehr evangelisch ist. Es wie Gott, ein Fremdwort, das übersetzt werden will. Gnade ist schwer zu verstehen und gleichzeitig kennen so viele das Gegenteil in unserer so gnadenlosen Zeit, die Gnade so dringend braucht: Solidarität, Wohlwollen, Gütekraft, bedingungslose Empathie. Gnade für die Schule beim Mobbing, für die lange Schlange bei der Tafel, fürs Regieren, für die Politik, umgeben von Einschaltquoten und Hochrechnungen. Und für euch, hohe Synode, für eure großen Themen. Gnade. Unsere Welt braucht diese Kraft. Unsere säkulare Gesellschaft braucht eine Kirche, die noch von dieser anderen Kraft weiß – und von ihr erzählt. Unsere Zeit mit ihren unsäglichen Nachrichten will doch wissen, was hält uns und unser Zusammenleben. Woher kommen die Ideen und die Kraft, sie auch zu leben? Ja – woher nehmen, wenn nicht lesen? Die Weisungen der Bibel jedenfalls bieten Ideen – gemeinsam mit anderen großen Texten.

2.6.24

Freiheit des Sprechens

So! Aber niemand muss erzählen. Alle sind eingeladen ans Lagerfeuer. Niemand muss predigen oder öffentlich sprechen, Rechenschaft ablegen von seinem Glauben. Ich höre immer wieder, dass es schwerfällt, über das eigene Vertrauen zu sprechen, Gott vertrauen. Die gute Nachricht ist: Wir sind nicht gezwungen. Wir dürfen uns äußern. Es ist ein Recht. Es ist ein Privileg. Es ist nicht selbstverständlich weltweit gesehen. Es gibt hier kein Redeverbot, auch wenn das immer wieder mal behauptet wird. Widerspruch ist erlaubt und sogar erwünscht und wird gebraucht. Die Demokratie braucht Worte. Menschen brauchen Worte. Und die Worte brauchen Freiheit: Redefreiheit, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Religionsfreiheit – und sie sind alle da!

1.6.24

Geschenkte Gewissheit

Und ich glaube, das ist ein Geschenk, das die Christenheit, die Kirche unserer Zeit machen kann, dass da Raum ist mitten in den vielen Krisen, einen Moment still zu sein als Suchende, das Müssen zu lassen, das „Ich weiß, wie´s geht!“, zu erzählen, zu fragen, zu teilen, zu klagen, auch die Trauer gutzuheißen um vertane Jahre und verpasste Chancen, zuzugeben auch, dass wir manchmal ohnmächtig fühlen, dass wir ratlos sind. Die Kirche könnte für eine Erlaubnis einstehen: Wir sind verletzlich! Wir sind sprachlos! Wir sind überfordert! Verletzlich wie unsere Erde, wie unsere Demokratie, wie unsere Vorfahren und unsere Kinder, wie Jesus verletzlich war und verwundet und gerade da zeigte sich Gott. Da wurde Ostern ein Wunder für die Wunden. Das ist eine Kirche, die ich lieben kann: eine Anlaufstelle, ein Kraftort, wo Platz ist für Gespräch, ein Erzählraum mit gedeckten Tischen, ein Netzwerk für Initiativen vor Ort, ein Netzwerk, ansprechbar und – ja! – sie spricht auch von Hoffnung, von Auferweckungsenergie, von Unterbrechung.  Ich erlebe eine Scheu vor Gewissheiten. Ein Misstrauen gegenüber Autoritäten. Ich erlebe auch eine Sehnsucht nach Verbundenheit, Gemeinschaft wie ein Lagerfeuer. Was nicht erzählt wird, trennt. Doch wenn ein Ich erzählt, ein Mensch sich traut und seine Sicht beim Namen nennt und ein anderer merkt, dass er das kennt – das ist ein heiliger Moment – das Lagerfeuer brennt. Und damit wir nicht nur unser Echo hören, müssen auch die erzählen, die uns stören. In unseren Erzählraum mischte sich immer wieder diese andere Stimme ein. Sie kam z.B. aus Psalmen, aus uralten Erzählungen, die von Hoffnung wussten, von Trotz und Trost, von einer Liebe, die stärker ist als der Tod. Sie inspirierte unser Hören und begleitete es. Auch der letzte Kirchentag wurde mit einem großen Lagerfeuer verglichen. Ich erinnere mich gerne an diese Tage. Wenn der Rechtsruck dieser Tage unsere Kehle zuschnürt, erinnere ich mich: da gibt es eine evangelische Bewegung und im Rücken eine große Institution, die sich nicht Rechtsaußen einschmeichelt, die klar dasteht gegen das Eklig sein, für das Menschlich sein.

31.5.24

Erzählraum-Erfahrung 1 – Reden ist Gold!

Ich erlaube mir, eine Erfahrung zu teilen. In der Zeit, als wir in der Pandemie nicht live Gottesdienst feiern konnten, hat meine Gemeinde gesagt: Wir brauchen jetzt Erzählräume. Wir müssen einander zuhören. Und die Gemeinde wurde ein Treffpunkt für Geschichten. Wie wir die Pandemie erlebt haben als Singles, als Alleinerziehende, WGs, als Familien, mit kleinen oder schulpflichtigen oder großen Kindern, als Krankenschwester, Freiberufler, Lehrer, Therapeut, Journalistin, als Großeltern. Wir hörten lauter Beispiele, die wir nicht kannten. Wir erzählten, was wir vermisst hatten: das Singen, eine angemessene Beerdigung. Auch was uns geschenkt wurde: das Summen, eine Lesung aus Indien, Entdeckungen, dass die Schwester gut Haare schneiden kann und wie lieb die Natur uns half, beweglich zu bleiben. Wir hörten Sätze wie: Mich hat seit Monaten niemand umarmt. Und: Ich habe so viel mehr von meiner Familie mitbekommen. Die Kinder erzählten und die Jugendlichen von dem, was nicht nachgeholt werden kann: Klassenfahrten, Abiball. Zitat: „Ich habe echt die Schule vermisst.“ Und: „Corona würd´ich gern verkloppen!“. Wir hörten auch Geschichten von weiter weg. Die Pfarrerin der Partnergemeinde von Norditalien musste so viele Menschen beerdigen. In Indien fehlte Sauerstoff. Diese Erzählräume zu haben war wundervoll. In alten Mauern, in umbeteten Raum entstand aus Zuhören Zugehörigkeit.

30.5.24

Worte der Hoffnung

Menschen brauchen Worte. Und von Zeit zu Zeit sollten sie hören, sollten wir hören. Weg vom Trubel, in der Stille des Herzens etwa, am Morgen mit Blick in den Himmel erinnern: Wir sind nicht allein. Sollten wir hören: Fürchte dich nicht! Friede sei mit dir! Das verleiht einem beginnenden Tag ein graziöses Vorzeichen.

29.5.24

Das Sprechen braucht das Hören

Menschen brauchen Worte. Und die Worte brauchen das Hören. Und das Hören braucht Aufmerksamkeit. Ich persönlich habe noch nie Gottes Stimme vernommen. Und ich frage mich, was ich eigentlich höre, wo ich weghöre, wer mein Ohr haben darf, wem ich vielleicht – Gott bewahre! – gehorche. Der Prophet Elia hört etwas – Gott!? – wie das Rauschen eines leisen Wehens. Um das wahrzunehmen brauchte es Stille. Ich finde, das ist eine schöne Spur. Im Hebräischen haben Wüste=midba und das Wort dabar und sprechen medabar dieselbe Wortwurzel. Für mich heißt das: im Lärm und im Getöse und allen Nachrichten hört das Vertrauen noch eine andere Stimme. In der Wüste des eigenen Herzens hört es die alten Worte des Vertrauens. Ja! Wer hat uns etwas zu sagen? Wer darf uns etwas sagen? Unsere Lieben natürlich. Die Kinder hoffentlich. Die Erde hoffentlich. Und in dem allem, darunter und darüber ist eine Stimme, die noch etwas anderes weiß, überliefert in der Bibel, die der Hoffnung immer wieder das Wort gibt.

28.5.24

In den folgenden Tagen möchte ich eine Rede von Christina Brudereck wiedergeben, die sie auf der Herbsttagung der EKD 2023 zum Thema „Wortschätze teilen“ gehalten hat. Hier der erste Teil: 

Vom Sinn der Worte

Menschen brauchen Worte. Und die Worte brauchen die Menschen. Menschen wollen sprechen und angesprochen werden. Ich wusste gar nicht so recht, wie ich Sie ansprechen soll. Menschenskinder hätte ich am liebsten gesagt…Das Christentum ist nicht zu denken ohne das Wort. Es ist eine verbale Kultur. Ausgesprochen verbal sind wir Evangelischen, die Sola-Scriptura-Leute. Mit sind mit unserer Wurzel, dem Judentum, eine Erzählgemeinschaft. Es ist da zu lesen: Mit Worten schuf Gott die Welt, rief sie ins Leben. Worte schaffen etwas. Unsere Sprache kann schön sein, sogar Liebe erklären. Sie kann hässlich sein, Hass und Gewalt auslösen, beschweren und verletzen. Sie kann missverständlich sein und unverständlich. Die Sprache des Glaubens, wie über Gott gesprochen wird, kann unpassend sein, irrelevant, weltfremd, belanglos. Sie kann phrasig sein und peinlich. Was noch einmal etwas anderes ist, als dass es uns peinlich ist, über unser Gottvertrauen zu sprechen, etwas über Gott zu sagen. Ich verstehe das. Vertrauen ist persönlich, will gerne dezent sein, sich in sicherem Rahmen äußern. Gleichzeitig finde ich es wenn nicht schlimm, so doch ausgesprochen schade, wenn wir nicht von Gottvertrauen sprechen. Ich bin überzeugt, dass es die Sprache des Glaubens braucht. Dass unsere Welt, unsere Gesellschaft, unsere Demokratie sie brauchen – die Worte, die Bilder unseres Gottvertrauens. Unser Auftrag ist es, für andere dazu sein und von Gott zu erzählen. Ja, der Glaube zeigt sich „in der Tat“. In der liebevollen Tat zeigt sich Gott ganz klar. Nicht nur in Predigt, Andacht, Feier. Es braucht auch praktisch Nächstenliebe. Denn Worte sind ja gut, aber Hühner legen Eier. Aber auch das: wenn wir nicht erzählen, entsteht ein Vakuum. Und irgendwer wird es füllen mit anderen Worten, Werten und Bildern. Und das macht mir inzwischen richtig Angst. Und ich finde es doch nicht nur schade. Ich finde es schlimm, wenn wir nicht erzählen. Es heißt aber nun: der Glaube kommt aus der Predigt. Das schreibt Paulus in einem Brief an die Gemeinde in Rom. Anders ausgedrückt: Gottvertrauen erwächst aus dem Hören auf die Verkündigung. Gottvertrauen beginnt mit dem Hören, mit Aufmerksamkeit. Schema Israel! Höre Israel! heißt es im berühmtesten jüdischen Gebet. Es heißt nicht: Sprich Israel! Es heißt auch nicht: Tu etwas! Nicht zuerst. Und das Schema wird täglich gebetet. Oft sind es die letzten Worte, die ein Mensch jüdischen Glaubens flüstert.

27.5.24

Sie hat mich beeindruckt. Schon vor dem Gottesdienst in Gundelfingen reagierte sie auf die Begrüßung von mir, einer Kirchenältesten und der Kirchendienerin mit den Worten: „So liebe Menschen hier!“ Sie nahm vorne Platz. Nach dem Abendmahl saß sie gerührt in der Bank und weinte. Nach dem Gottesdienst kam sie auf mich zu und bedankte sich dafür, dass ich den Predigttext Epheser 1,3-14 ausgelegt habe. „Wissen Sie! Ich lese jeden Morgen die Losungen. Und am Sonntag lese ich den Predigttext. Dann bin ich vorbereitet auf die Predigt. Ich bin immer so enttäuscht, wenn ein anderer Bibeltext ausgelegt wird.“ Sie ist 91 Jahre alt. Und die Kirche ist gerettet, wenn die Predigenden sich den Bibeltexten stellen würden, die gegeben sind. 

26.5.24

Ich war in Gundelfingen und war dort verantwortlich für einen Gottesdienst mit Abendmahl. Ich habe in der zurückliegenden Woche lange mit mir gekämpft, ob ich den vorgeschriebenen Predigttext Epheser 1,3-14 nehmen soll oder nicht. Ich weiß nicht, aus welchem Grund ich es nicht tat. Gewohnheit? Pflichtbewusstsein? Wirken des Geistes? 

25.5.24

Wer bin ich als Pensionär? Einer sagte mir mal, als die Pension anstand: Bald bist du Privatier! Fast hätte ich es geglaubt. Gekommen ist es anders. Hätte es auch anders kommen können? 

24.5.24

Es ist ein Zwiespalt, in dem ich stecke. Wenn ich einen Gottesdienst besuche – wer bin ich dann? Hörer, Pfarrer, Analyst, Kollege, Mensch..? Was mache ich mit meinen Gefühlen, wenn ich vor einem Impuls stehe, dass ich am liebsten den Kirchenraum verlassen möchte, weil ich das, was da vorne geschieht, nicht mehr ertragen kann?

23.5.24

Mit dem Kind sein verbunden ist vor allem die Tatsache, dass etwas mit Kindern geschieht. Sie werden gezeugt, geboren, erzogen, gewickelt, gefüttert, getragen, geschlagen, angezogen, erzogen, geführt, verführt, missbraucht…Und dann geschah das hier:

Und sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie anrühre. Die Jünger aber fuhren sie an. Als es aber Jesus sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen: Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes. Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie.

Es sind Erwachsene, die die Kinder bringen. Spielt aber keine Rolle. Die Kinder werden nicht näher klassifiziert. Es sind Kinder. Es sind Menschen. In der Antike waren Kinder keine Menschen. Hier schon. Dass Jesus sie berühren soll deutet darauf hin, dass die 1-3 Jahre alten Kinder krank waren. Nur um einen Segen zu empfangen hätte sich die Mühe nicht gelohnt, sie zu Jesus zu bringen. Segnen konnte auch ein Priester. Und dann geschieht etwas. Die, mit denen immer etwas gemacht wurde, laufen auf Jesus zu. Die Jünger Jesu herrschten aber die Kinder an. Da platzte Jesus der Kragen und er stellte seine Jünger in den Senkel. „Lasst sie zu mir kommen!“, heißt dann auch, dieses kleine Wunder zu bestaunen, dass die Kinder eigeninitiativ geworden sind. Ihnen gehört das Reich Gottes, also die Welt, die Jesus gepredigt hat. Allen Kindern dieser Erde gehört die Welt Gottes. Ausnahmslos alle Kinder dieser Erde sind Eigentümer des Reiches Gottes. Und jetzt sollen die Erwachsenen mal beweisen, wie sie da hineinkommen mit ihrem Stolz, ihrem Imponiergehabe und ihren unseligen Diskussionen, Bewertungen und Urteilen. Sie müssten sich nämlich von den Eigentümern des Reiches Gottes beschenken lassen und ihnen danke sagen – den Kindern! Und dann heilt Jesus die Wunden, die die Erwachsenen den Kindern schon zugefügt haben. 

Vom 2.-22.5.24 hat sich das Tagebuch ausgeruht

01.05.24

Ich habe gestern Brot gekauft. Gegenüber der Bäckerei liegt die italienische Eisdiele. Und schon winkten mir ein paar Viertklässlerinnen. Sie genossen das Eis. Die eine erzählte mir, sie habe Mango am liebsten, der anderen sah man schon an der Bräunung der Mundwinkel an, dass sie Schokolade bevorzugte. Wir flachsten herum. Bis mir das Schokomädchen erzählte, sie freue sich auf den kommenden Sonntag. Sie habe da ihren 10. Geburtstag. „Stell dir vor: 5.5.24. Und nächstes Jahr habe ich am 5.5.25 den 11. Geburtstag.“ – „Wow!“, sagte ich und stellte ihr und den beiden anderen eine Rechenaufgabe: „Wie alt bist du, wenn du am 5.5.55 Geburtstag hast?“ Die Drei schauten mich mit offenen Mündern an. „41.“ – „Richtig!“, erwiderte ich. Und mir fiel ein, dass so eine Zukunftsschau was ganz anderes ist als die Unterweltsszenarien, mit denen man Tag für Tag konfrontiert wird. 

30.4.24

Nach dem Autopilot und der Effektivität kommt das Mehr auf der Stufe des Selbstgewahrseins. Fragte die Effektivität noch danach, wie wir mehr von unseren Wünschen verwirklichen können. geht es beim Selbstgewahrsein um die Fragen: „Was wollen wir wirklich?“ – „Was wünschen wir uns eigentlich?“ – „Wohin sind wir unterwegs?“

29.4.24

Es muss mehr geben. Und es gibt mehr. Kerstin suchte nach diesem Mehr. Sie war eine Schönheit. Ich habe sie auf einer Freizeit kennengelernt. Sie war Teilnehmende und ich Betreuer. Es gibt ein Bild, auf dem wir beide mit anderen zu sehen sind. Es wäre was aus uns geworden, wenn nicht so ein Schlaule von Oberbetreuer den belehrenden Satz hätte fallen lassen: „Zwischen Betreuer und Teilnehmer darf nichts passieren!“ Ich habe noch einen Brief von ihr, in dem sie verzweifelt von ihren schulischen Problemen erzählt. Sie wohnte nicht weg von mir. Wir hätten uns treffen können. Doch es kam nicht dazu.

28.4.24

Der Himmel singt und klingt – Sonntag Kantate…(Predigt zu Offenbarung 15,2-4 unter „Predigten“)

27.4.24

Es muss mehr geben. Der Mensch ist ein Suchender.

  • Sucht er an der falschen Stelle…
  • Bekommt er die falschen Antworten auf seine guten Fragen…
  • Nimmt er seine Unzufriedenheit nicht ernst…
  • Tut er sein Suchen mit „Nichtigkeit“ ab…
  • etc.

…dann wird der Suchende zum Süchtigen. Die Angebotspalette ist groß, zumal in einer überfütterten Gesellschaft wie unserer. Man sagt, dass am Bahlinger Baggersee Drogen gekauft werden können. Ich trauere heute noch um Kerstin. Sie erstickte in schulischen Problemen. Als ich sie nach Jahren besuchen wollte, öffnete die Mutter. Als ich sie nach Kerstin fragte, starrte sie mich mit großen Augen an und sagte: „Kerstin ist an einer Oberdosis Heroin gestorben.“ Drehte sich um und schlug die Tür zu…

26.4.24

Nur so machen und weitermachen wie bisher. Wird über kurz oder lang öde. Das Leben erschöpft sich im Immergleichen. Hebt man es auf die Stufe der Effektivität, wird es dem Nützlichen unterworfen. Wie sollen sich in dieser Zwangsjacke sensible Werte entwickeln und entfalten können? Wie Liebe, Freundschaft, Zärtlichkeit? Die können doch nur auf der Strecke bleiben.

25.4.24

Nach der Oberfläche bzw. dem oberflächlichen Leben kommt die Effektivität. Hier beginnt das Fragen: Trägt unser Handeln das ein, was wir wollen? Das Tun des Lebens wird „in Frage gestellt“. Dieses Frage ist die nach der Effektivität des Tuns und damit des Optimierungsdenkens. Das „Immer so“ hat ausgedient. Das 21. Jahrhundert hat die Effektivität zum Mythos erklärt. Doch wird das reichen? Muss es nicht mehr geben? 

24.4.24

Autopilot ist die Oberflächenschicht des Lebens. Hier fragen die Menschen nicht, warum sie tun, was sie tun. Sie machen es einfach. Der Großteil des Lebens geschieht reflexhaft, weil über das eigene Tun nicht nachgedacht wird. Sokrates nennt das ein „Leben ohne Selbsterforschung“. Solch ein Leben sei es nicht wert, gelebt zu werden. 

23.4.24

Wie geht es Menschen, die im Modus des Autopiloten sind? Die ein frag-loses Leben führen und deren Lebensmaxime lautet: Wir tun, was wir tun, weil wir das immer so machen.?

22.4.24

Man sollte mal Marcel Proust lesen („Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“). 4000 Seiten in 6 Bänden. Weltliteratur. Erst hat er gelebt, dann geschrieben. Die Erzählung über „Madeleine“ war Thema bei unserem „Literarischen Menu“ am Samstagabend. Ein vielschichtiger Text, der einiges in sich hat. Mir hat es Lust bereitet, in diesen Text hineinzusteigen. Das hat mich am meisten fasziniert: Proust spricht vom „Ende der Menschen und der Dinge“. Eigentlich müsste dann alles weg sein. Doch für ihn halten „Geschmack“ und „Geruch“ als personalisierte Seelen das Gebäude der Erinnerung wach. Das ist für mich ein Hinweis auf ein „sinnvolles Leben“, also ein Leben mit allen uns gegebenen Sinnen. Sie sind Gaben des Unsichtbaren und verweisen damit auf die Ewigkeit. 

21.4.24

Sonntag Jubilate (siehe Psalm 66) und ich habe trauernde Angehörige vor mir! Das ist immer richtig schwierig und anstrengend. Ich bin dann trotzdem bei meiner Predigt geblieben (siehe unter „Predigten“). 

20.4.24

Eine so noch nicht dagewesene Todesanzeige vom 19.4.24 lautet wie folgt: DAS LETZTE SPIEL KENNT KEIN UNENTSCHIEDEN…Platzverweis für Markus Koch! Fassungslos bleiben am Spielfeldrand zurück…

Ist das Leben ein Spiel? Wie weit sind Vergleiche aus dem Reich des Fußballs hilfreich für die Bewältigung eines Abschieds? Siehe auch den Beitrag vom 8.2.2024!

19.4.24

Die Selbstbestimmung pflegt die Frage: „Was wollen wir wirklich?“ Die meisten Menschen kommen erst gar nicht in die Nähe dieser Frage, weil sich ihr Leben zwischen Alltag und Effizienz ihres Tuns zerreibt. Und ein zweiwöchiger Urlaub ist zu kurz, um diese Frage in ihrer Tiefe und Weite zu erfassen. „Was will ich wirklich?“ Die Frage zielt also auf das Mehr des Wollens und damit zielt sie auf die Elemente des Lebens, die die elementare  Bedürfnisbefriedigung übersteigen. Sie fragt nach dem Sinn des Lebens als eine Frage des modernen Menschen. Doch ich frage mich: Wie kann ich herausfinden, was ich wirklich will? Im Wort „Selbstbestimmung“ steckt das Wort „Stimme“. Warum nur sind wir so stumm, wenn es darum geht herauszufinden, was wir wirklich wollen? Wo ist unsere Stimme? Was wollen wir aussprechen? Wann wollen wir sagen, was uns wichtig ist? Wie stehe ich zu meiner Stimme? Wann gebe ich dem, was ich wirklich will, eine Stimme? Welches ist mein Wort aus mir heraus? 

18.4.24

Es gibt zwei Bereiche, die das Leben betreffen. Den Bereich „Aktion“ und „Reflexion“. Diese beiden Bereiche haben wiederum zwei Ebenen. Die „Aktion“ hat die Ebenen „Autopilot“ und „Effektivität“. Die „Reflexion“ hat die Ebenen „Selbstgewahrsein“ und „Selbsttranszendenz“. Die Selbstbestimmung ordne ich der Ebene „Selbstgewahrsein“ zu und damit der Frage: Was wollen wir wirklich? Diese Frage bei sich zu tragen ist ungemein wichtig. Denn sie schützt vor Übergriffen und macht diese bewusst. Es ist jedem Menschen zu wünschen, dass er diese Bewusstseinsebene erreicht. Doch da gibt es noch eine höhere Ebene im Bereich „Reflexion“. Davon morgen! 

17.4.24

Abtreibung bestrafen? Homosexualität bestrafen? Warum eigentlich? Woher kommt Strafe? Strafe ist die Reaktion eines Systems auf eine Systemvergehen. Jedes System wird von moralischen Werten bestimmt, die in der Regel religiös begründet werden. Jedes System braucht Werte, sonst endet es in der Anarchie. Wenn jetzt die Straffreiheit für Abtreibung gefordert wird, stellt sich dieselbe Frage. Woher kommt diese Forderung? Was hat sich im System geändert, dass sie nicht mehr bestraft werden soll? Es hat sich ein Wert verschoben von der religiösen Moral zur psychologischen Werteskala. Und dort steht die Selbstbestimmung ganz oben. Die kann nicht bestraft werden. Sie verlangt nach Straffreiheit, weil nicht bestraft werden kann, was die Selbstbestimmung will. Doch wie weit kann und darf Selbstbestimmung gehen? Ist sie der neue, alles regelnde moralische Wert? Und was ihr nicht entspricht wird in Zukunft bestraft? 

16.4.24

Wüstenzeit ist Versuchungszeit. Die Evangelisten wollen mit der Versuchungsgeschichte in der Wüste zeigen, wie sattelfest man sein muss, um da gut durch- und rauszukommen. Es geht also um die Basis des Glaubens. Die Antworten Jesu auf die Angebotspalette des Versuchers stammen allesamt aus dem 5. Buch Mose, also der Thora. Der Grundstein für das Gewachsensein in Extremsituationen wird in der Kindheit gelegt. Hören, Lernen, Wissen, Gewissheit, Bewusstsein, Selbstbewusstein, Gottesbewusstsein sind die Reifungsstationen.

15.4.24

„Und führe uns nicht in Versuchung.“ Kürzer geht´s nicht. Es ist die letzte Bitte, die Jesus den Jüngern für ihr Gebetsleben mitgibt. Die Bitte ist genauso gemeint. Wer meint, sie müsse abgewandelt werden, damit sie passt, vergeht sich an ihr. Es gibt nämlich Leute, die meinen, Jesus hätte die Bitte so gemeint: und führe uns in der Versuchung. Das ist völlig daneben. Wer soll denn in eine Versuchungssituation führen? Und wenn ich schwach werde, soll´s Gott dann mal wieder richten? So läuft das leider nicht. Die Bitte Jesu ist nicht an den „üblichen“ Gott gerichtet, sondern an seinen Abbá=Papa. Und das zum ersten Mal in der Geschichte Israels. Jesus kannte die klassischen Versuchsgeschichten der jüdischen Bibel (Abraham und Hiob) und wusste um die Zerbrechlichkeit des Glaubens. Sein Gott aber, sein Abbá, soll uns vor solch einer Situation bewahren. Denn dem Gott Jesu fehlt jede Anwandlung von Zynismus. 

14.4.24

Es gibt zwei Räume, in denen der Mensch sich nicht belügen kann oder muss. Das ist das Selbstgespräch und das Gebet. Selten findet sich beides in einem. Doch im Psalm 23, der am heutigen Sonntag Misericordias Domini im Mittelpunkt steht, ist es so. Der Psalmbeter beginnt mit den Worten: „Der Herr ist mein Hirte…“ Und plötzlich wechselt er in: „Du bist bei mir…“ Am Ende wechselt er dann weiter in: „Gutes und Barmherzigkeit…“ Man könnte also den Psalm 23 als Paradebeispiel nehmen für den fließenden Übergang von Selbstgespräch in Gebet und von Gebet zurück ins Selbstgespräch. Beide brauchen sich. Beides sind Räume der Ehrlichkeit. 

13.4.24

WorthausPlus gestern in Bahlingen zum Thema „Schuld macht Gefühle“. Welche Gefühle sind das? Scham, Wut, Verstecken, Depression, Selbstabwertung. Schuld macht klein. Jesus ordnet das Thema „Schuld“ systemisch ein. Er lässt dem stets schuldig werdenden Menschen seine Würde, indem er ihn vor Gott „Kind“ sein lässt. Er legt ihm die Bitte „Vergib“ ans Herzen. Dadurch muss kein Mensch an seiner Schuld zerbrechen, weil er die aller Schuld vorausgehenden Liebe Gottes zu ihm erkennt und in ihr leben darf. Sodann ist der so in der Vergebung Gottes geborgene Mensch selbst auf seine Weise „Gott“, indem er fähig wird, anderen zu vergeben. Und das heißt in erster Linie: sich frei machen von Gefühlen wie Wut, Rache, Vergeltung und chronische Vorwürfe. Der vergebende Mensch ist der frei (gewordene) Mensch. Im Unterschied zum Versöhnen geschieht das Vergeben im Inneren ohne das entsprechende Gegenüber. Das Vergeben lernen ist ein Selbstbefreiungsakt. So gesehen hatte Jesus mit der Bitte im Vaterunser „Vergib uns unserer Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ die seelische Gesundheit der Menschheit im Blick. 

12.4.24

Josef hat Jesus den „barmherzigen“ Gott weitergegeben. Er hat ihn gelehrt, ihn Abbá=Papa zu nennen. Und das zum ersten Mal in der Gebetsgeschichte Israels ohne „Beiwerk“ wie „Lieber“ oder „in den Himmeln“ o.ä. So hat es Jesus seinen Jüngern weitergegeben in seinem Gebet, als sie ihn fragten, wie und was sie beten sollen. Es ist ein Gebet für die Menschheit. Wegweisend ist es für das Beten insofern, als es die Rollen klärt zwischen Abbá und den Betenden. Abbá ist der zärtlich-liebende Gott und die Betenden sind seine „Kinder“. Daraus ergibt sich, dass nach Jesus das Beten der „Kinder Gottes“ allein im Bitten besteht. Dietrich Bonhoeffer schreibt dazu: „Nicht die allgemeine Anbetung, sondern das Bitten ist das Wesen des christlichen Gebets.“ (Nachfolge, S. 159). 

11.4.24

Urvertrauen und Selbstvertrauen gehören zusammen. Jesus hatte beides. Auf diesem Hintergrund ist zu verstehen, wenn er „Ich bin“ sagt (die 7 Ich-Bin-Worte im Johannesevangelium) oder auch die sog. Antithesen in der Bergpredigt des Matthäusevangeliums („Ich aber sage euch!“). Etwas muss passiert sein. Das ist wohl an seiner Taufe durch Johannes festzumachen. Da hörte Jesus die Stimme Gottes, seines Vaters=Abbá=Papa, die zu ihm sagte: „Du bist mein geliebter Sohn. Du gefällst mir.“ Dieser Einbruch des Himmels in sein Leben ist der Durchbruch zu einem Selbstbewusstsein, das ihn ausgezeichnet und getragen hat (transzendent als Gottesbewusstsein=Ich bin angenommen!). 

10.4.24

Die Gegend am See Genezareth beschreibt Josephus wie folgt: „Entlang dem See Genezareth erstreckt sich eine gleichnamige Landschaft von wunderbarer Natur und Schönheit. Wegen der Fettigkeit des Bodens gestattet sie jede Art von Pflanzenwuchs, und ihre Bewohner haben daher in der Tat alles angebaut; das ausgeglichene Klima passt auch für die verschiedenartigsten Gewächse. Nussbäume, Palmen, Feigen- und Olivenbäume…Der Boden bringt nicht nur das verschiedenste Obst hervor, sondern er sorgt auch lange Zeit für reife Früchte. Die königlichen unter ihnen, Weintrauben und Feigen, beschert er zehn Monate lang ununterbrochen, die übrigen Früchte reifen nach und nach das ganze Jahr hindurch. Denn abgesehen von der milden Witterung, trägt zur Fruchtbarkeit dieser Gegend auch die Bewässerung durch seine sehr kräftige Quelle bei…“ (Jüdischer Krieg III,10.8). 

9.4.24

Über die Zeit vor seinem öffentlichem Wirken ist nichts von Jesus bekannt. Es sind die Jahre der Vorbereitung, in denen er Erfahrungen mit Menschen und mit Gott gesammelt und ausgewertet hat, Jahre des Lernens und Kennenlernens. Er war mit seinem Vater, dem „teknon“=Mann vom Bau, in Galiläa, auf der via maris und in der fruchtbaren Gegend um den See Genezareth unterwegs. Hier, in Kapernaum, wird Jesus seine zweite Heimat finden. Er hat diesen Ort und diese Gegend bewusst gewählt. Er hatte auch andere Möglichkeiten. Betanien etwa, wo seine Freundinnen Marta und Maria und sein Freund Lazarus lebten. Er geht auch nicht ins Gebirge. Er geht nach Kapernaum.

8.4.24

Wo war Jesus geistlich beheimatet? In den Teilen des Jesajabuches, die im babylonischen Exil entstanden sind, also ab Kapitel 40 (Deuterojesaja 40-55 und Tritojesaja 56-66). Dieses sog. „Trostbuch“ des Deuterojesaja (40-55) beginnt mit den Worten: Tröstet, tröstet mein Volk. Er hielt daran fest gerade angesichts römischer Besatzung, des Terrorregimes des Pilatus und jüdischer Kollaborateure (Zöllner). 

7.4.24

Durch das Edikt des Perserkönig Kyros, der die Babylonier besiegte und in Jesaja 45,1 „Messias“ genannt wird, war es den deportierten Juden erlaubt, nach Israel zurückzukehren. Das taten bei weitem nicht alle. Es blieb eine einflussreiche Gruppe von Juden in Babylon, die in intensivem Kontakt mit den Ausgewanderten stand. Mitte des 2. Jh. kehrten diese babylonischen Juden nach Israel zurück und siedelten sich in Galiläa und im heutigen Golan an. Nazareth wird als eine Gründung dieser endzeitlich gestimmten jüdischen Siedler aus Babylon angesehen. Und Jesus wuchs in Nazareth auf. 

6.4.24

Die Eltern wurden früher als „Stellvertreter Gottes auf Erden“ bezeichnet. Das stimmte. Je nachdem wie die Eltern waren, wurde auch das Gottesbild geprägt. Jesus hatte eine Mutter, die im apokalyptischen Milieu verwurzelt war. Deshalb auch die Taufe durch Johannes. Sein Vater war eine torafrommer Jude, der eine weite, menschenfreundliche Auslegung der Tora praktizierte. Er war es, der Jesus den „Abbá“, den liebenden Vater lehrte, wie er in Hosea 11,1.4 und Jesaja 63,15f. überliefert ist. Wenn ein Mensch aus diesen verschiedenen Strömungen seinen eigenen Glauben gestaltet, ist das ein Zeichen persönlicher Reife. Das verweist auf den morgigen Sonntag. Es geht um Thomas und die Gemeinschaft der Glaubenden (Johannes 20). 

5.4.24

Es muss was passiert sein. Die Absprache zwischen Johannes und Jesus war die: Johannes verkündigt das Zorngericht Gottes. Wenn dieses gekommen ist, wird Jesus das Gnadenjahr verkünden. Doch von dieser Reihenfolge hat sich Jesus verabschiedet. Er sprach von Gott und seiner Gnade ohne dass der Mensch für deren Empfangen eine Bedingung erfüllen musste. Jesus muss noch eine andere Schule besucht haben, in der er auf die Linie Hosea-Jesaja gestoßen war, während Johannes die Linie der Gerichtspropheten Amos-Jeremia vertrat. Der Unterschied zwischen Johannes und Jesus lag also in deren Gottesbild, das sie durch das Studium der Thora und Propheten gewonnen haben. Jesus selber hatte großen Respekt vor seinem Lehrer Johannes. „Er ist es, von dem es geschrieben steht: Ich sende meinen Boten vor dir her, damit er den Weg vor dir bereitet.“ , sagte er von ihm (Lukas 7,27).

4.4.24

Gerichtsrede – Gottes Zorntag – Umkehr zur Buße: das waren die Themen, die Jesus bei Johannes gelernt hat. Doch hat er sich davon abgewendet und seine eigene Auslegung der Thora gefunden. Jesu Botschaft war ein Trostwort, kein Drohwort. Jesus ging gewöhnlich in seine Synagoge in Nazareth. Ein Dorf mit ca. 300 Einwohnern und einem kleinen Bethäuschen, das die Synagoge war. Dort ging er eines Tages hinein und legte ein Wort aus dem Propheten Jesaja (61,1.2) aus. Lukas beschreibt die Begebenheit wie folgt: „Er öffnete die Thora und fand die Stelle, wo geschrieben stand: Der Geist des Herrn ruht auf mir, weil er mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Armen frohe Botschaft zu bringen, den Gefangenen Befreiung zu verkünden und den Blinden das Augenlicht, die Zerschlagenen in Freiheit zu entlassen, auszurufen ein Gnadenjahr des Herrn.“ (Lk 4,17-19) Daraufhin legte Jesus die Thora beiseite und sagte: „Heute ist dieses Wort der Schrift erfüllt vor euren Ohren.“ (Lk 4,21) Dieses Gnadenjahr gab es in der Thora tatsächlich. In Leviticus 25,8ff. heißt es: „Und ihr sollt das 50. Jahr heiligen und sollt eine Freilassung ausrufen im Lande für alle, die darin wohnen; es soll ein Erlassjahr für euch sein. Da soll ein jeder bei euch wieder zu seiner Habe und zu seiner Sippen kommen…“ Jesus kannte die Thora und hat die darin erkennbare Gnadenlinie in Worten und Taten ausgelegt. 

3.4.24

Was hat Jesus bei Johannes, seinem Verwandten gelernt? Im Nazaräerevangelium (140 n.Chr. in gewisser Nähe zum Evangelium nach Matthäus) heißt es im Fragment 5: Seine Mutter und seine Brüder sagten zu Jesus: „Johannes der Täufer tauft zur Vergebung der Sünden. Wir wollen hingehen und uns von ihm taufen lassen.“ Jesus erwiderte: „Was habe ich gesündigt, dass ich hingehe und mich von ihm taufen lassen soll? Aber vielleicht rede ich aus Ungewissheit und so habe ich gesündigt, ohne es zu wissen.“ Ganze Familien hat es zu Johannes gezogen, um sich von ihm die Taufe zur Vergebung spenden zu lassen. Im Umkreis des Johannes erfuhr Jesus von der Revolution Gottes, dem Umsturz, der totalen Veränderung der Welt, die bald komme und dass es für Israel noch eine Rettung gibt, sofern die Weisungen Gottes eingehalten werden. Jesus begegnet bei seiner Taufe den Jüngern des Johannes und freundet sich mit ihnen an. Johannes selbst war nicht so von Jesus überzeugt. Noch aus dem Gefängnis lässt er fragen: „Bist du, auf den wir gewartet haben? Oder sollen wir auf einen anderen warten?“ (Lukas 7,18ff.). Trotzdem scheint Johannes Jesus als seinen Nachfolger angesehen zu haben. Er sagte von ihm: „Es kommt aber einer, der ist größer als ich…“ (Lukas 3,16). Nach dem gewaltsamen Tod des Johannes gehen seine Jünger mit Jesus. 

2.4.24

Johannes der Täufer ein Mitglied von Qumran?

Qumran steht für eine Bewegung, die sich als heilige und reine Gemeinde verstand. Ihr Zentrum war das Kloster am Toten Meer. Sie hatte aber auch Sympathisanten und Mitglieder in ganz Israel – östlich des Jordan bis nach Damaskus. Ihre Wurzel lag in den 30er Jahren des 2. Jh. v.Chr. Damals war eine Gruppen von Frommen unter dem „Lehrer der Gerechtigkeit“, einem Priester, aus Jerusalem und dem Tempel ausgezogen, weil sie als unrein angesehen wurden. Der Tempel war nicht mehr der Tempel, wie er sein sollte. Die Thora wurde nicht mehr praktiziert. Der amtierende Hohepriester wurde als „Frevelpriester“ bezeichnet. Die „Aussteiger“ von Qumran waren entschiedene Leute. Sie hatten ein hohes religiöses Ethos. Sie versuchten, die Weisungen der Thora radikal zu leben. Sie glaubten, dass Gott bald kommen und den Mächtigen auf der Erde ein Ende bereiten würde. 200 Jahre lang haben sie auf das Kommen Gottes gewartet und hatten sich im Erleben der „Verzögerung“ eingerichtet. Qumran wurde von den Römern zerstört. Johannes teilt mit Qumran die Vorstellung von der Nähe des Kommen Gottes und den Glauben, dass nur eine radikale Umkehr die Rettung vor dem Gericht bringen könne. Da er keine Ehelosigkeit und andere asketische Übungen forderte, eröffnete er dem ganzen Volk die Möglichkeit der Umkehr.

1.4.24

Auferweckung – was bedeutet sie?

Ohne das Zeugnis, dass Gott Jesus von den Toten auferweckt hat, wäre das Kreuz Jesu ein Monument des Scheiterns geblieben, das Beispiel eines sinnlosen Todes, eines von vielen, in denen sich den Schein des Rechts gebende Barbarei der Macht triumphierte. Das Bekenntnis, dass er auferweckt worden ist am dritten Tag gemäß der Schriften (1. Korinther 15,4) lässt auch das Ereignis in einem neuen Licht erscheinen, von dem aus dieser dritte Tag  gezählt wird. Im grauenhaften Geschehen seines Todes am Kreuz wird wahrgenommen, dass Christus gestorben ist für unsere Sünden gemäß den Schriften (1. Korinther 15,3)…Sünde ist hiernach Herrschaft von Menschen über Menschen, ist Unterdrückung und Gewalt. Sünde ist es, dem Wunsch, Erster und Großer zu sein, in der Weise von Herrschaftserlangung und Herrschaftsausübung nachzugehen. Vergebung erweist sich dann als Befreiung aus den Verstrickungen in die Gewaltgeschichte, als Befreiung aus der Komplizenschaft mit der Macht der Gewalt. Solche Befreiung erblickt die Gemeinde in der völligen Ohnmacht des Todes Jesu.“ (Klaus Wengst, Ostern. Ein wirkliches Gleichnis, eine wahre Geschichte / Kaiser Taschenbücher / S. 59+64)

31.3.24

Ostersonntag – Auferweckung – Auferstehung – Himmelfahrt? 

Man muss die beiden Begriffe „Auferweckung“ und „Auferstehung“ klären, um zu verstehen, was an Ostern gefeiert wird. Im Glaubensbekenntnis heißt es: gekreuzigt – gestorben – begraben. Von Beginn an wird das Leben Jesu passiv ausgedrückt. Sein erstes aktives Tun wird mit „hinabgestiegen“ beschrieben. Das heißt, dass der tote Jesus im Grab „aufgeweckt“ wurde. Denn um etwas tun zu können, muss man lebendig sein. Fortan wird das Leben Jesu mit aktiven Verben beschrieben: hinabgestiegen, auferstanden, aufgefahren, sitzen, wiederkommen, richten. Sein Auferstehen halt also die Auferweckung als Voraussetzung. Insofern feiern wir an Ostern zwei Ereignisse: die Auferweckung Jesu von den Toten durch seinen „Abbá“ und sein „Auferstehen“ aus dem Bereich des Todes. Das war seine Entscheidung. So gesehen feiern wir an Ostern nicht nur zwei Ereignisse, sondern auch zwei Entscheidungen: das Auferweckung Jesu durch Gott und das Auferstehen Jesu von den Toten, bei denen er ja war.

Der Auferstehung muss nicht konsequent die Himmelfahrt folgen. Denn das Evangelium nach Matthäus verzichtet auf eine Erzählung von der Himmelfahrt. Stattdessen endet es mit den Worten des Auferstandenen: „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Zeit.“ Damit geht Matthäus davon aus, dass der Auferstandene in der Gemeinde lebendig ist. Und das ist auch logisch: Denn wenn der Auferstandene verspricht „Ich bin bei euch alle Tage“, dann kann er nicht weggehen. Und die Himmelfahrt ist ein Weggehen. Im Übrigen ist der „Immanuel“, der „Gott-mit-uns“, der Gott, der sich Mose im Dornbusch mit den Worten offenbart hat: „Ich bin für euch da. Ich werde für euch da sein.“ (Exodus 3,14). Ein Gott, der sein Sein an das Verbunden sein bindet.

30.3.24

Karsamstag – Zwischenzeit und diskursive Gedanken zu einem „heißen“ Thema

Ein Zwischenzeit macht was mit einem. Man hängt durch. Man weiß nicht weiter und fragt sich: War´s das jetzt? Zurück zum Alten. Neues gibt es nicht. Und doch beginnt in diesem Zwischenraum zwischen Trauma und Ungewissheit, zwischen Wut und Depression eine Kraft zu arbeiten. Es ist die Kraft des Verarbeitens. Aus dem Trauma wird ein Traum und aus der Wut wird ein Lebensentwurf. Die Kreuzigung ist historisch datierbar auf den 7./8. April 30 n.Chr. Die Auferstehung ist nicht datierbar. Sie ist eine Vision. Der einzige Satz, der sie „beweisen“ kann, ist der von Menschen, die sagen: „Wir haben den Herrn gesehen.“ Allerdings sagt das nur einer von sich und das ist der Apostel Paulus (1. Korinther 15,8). Von den anderen wird es nur berichtet, dass sie den Herrn gesehen haben. Dass die Auferstehung nicht wie die Kreuzigung auf einen bestimmten Tag datiert werden kann, lässt sich mit einer Stelle aus dem Propheten Hosea belegen. Dort heißt es: „Gott macht lebendig nach zwei Tagen, er wird uns am dritten Tage aufrichten, dass wir vor ihm leben werden.“ (6,2). Die Zeitangabe „Tag“ ist hier nicht kalendarisch zu verstehen. Sie soll sagen, dass Gott in der vergehenden Zeit zu seinem selbstgewählten Zeitpunkt die Toten aufrichten wird. Die Auferweckung/Auferstehung ist nicht von dieser Welt. Hätte es eine Kamera in Jesu Grab gegeben – man hätte den Vorgang der Auferweckung/Auferstehung nicht filmen können. Der Film wäre leer gewesen.

Noch was. Jedes Jahr flammt die Diskussion auf, ob das strenge Gesetz zum Schutz des Karfreitags noch zeitgemäß sei. Durch die zunehmenden Kirchenaustritte nimmt die Diskussion an Schärfe und offenbar auch an Plausibilität zu. Ich meine, dass es Zeit wird, dass die Kirchen zu Potte kommen und einen Pflock einschlagen sollten.

Vorschlag: Jedes Kirchenmitglied bekommt einen Mitgliedsausweis. Dieser Ausweis berechtigt das Mitglied, die christlichen Feiertage zu begehen und begründet damit den bisherigen „Urlaub“ an diesen Tagen. Diejenigen, die das Gesetz aufweichen oder abschaffen wollen, sollen für ihre Einstellung einstehen und auch die Konsequenzen tragen und arbeiten gehen. Es macht ja keinen Sinn, gegen etwas zu wettern und dann noch davon zu profitieren. Die Kirchen sollten also mit der Mitgliedschaft ernst machen. Und die, die nicht mehr in der Kirche sind (keiner, der in der Kirche ist, will, dass die Feiertage ausgehöhlt oder abgeschafft werden), sollen auch nicht mehr von den Gütern der Kirche wie Freizeit an deren Feiertagen teilhaben. Wenn also ein Kirchenaustritt nur Profit für die Austretenden bedeutet, hinkt was. Die Kirchen sollten schauen, dass das für sie ins Gleichgewicht kommt und damit der Gesellschaft signalisieren: „Wir haben verstanden. Wir sind nicht mehr die Volkskirchen. Wir sind jetzt die Kirchen im Volk. Und das setzen wir jetzt um.“

29.3.24 

Karfreitag – „ibis ad crucem!“ („Du gehst ans Kreuz!“) – der gefürchtetste Satz in der Antike.

Nach dem Urteilsspruch wurde die Kreuzigung sofort öffentlich vollstreckt. Der Verurteilte wurde an die Folterer übergeben. Er wurde ausgepeitscht mit Peitschen, in deren Lederstreifen Holz- und Knochenstücke eingearbeitet waren. Die Zahl der Peitschenhiebe war nicht begrenzt. Nach der „Geißelung“ war der Körper nur noch eine einzige offene Wunde. Viele Verurteilte sind schon durch die Geißelung gestorben. Ein sensibler Folterknecht hörte  rechtzeitig auf. Dann wurde der Verurteilte dem Hinrichtungskommando (1 Offizier, der die Tafel mit dem Urteil vorneweg trug, und vier Soldaten) übergeben, das ihn durch die Straßen der Stadt trieb. Der Hingerichtete musste den Querbalken tragen. Man nutzte gezielt Umwege, um die Schaulistigen abzuschrecken.  Die Kreuzigung wurde immer außerhalb der Stadt,  aber in der Nähe des Stadttors, vollstreckt, um zu zeigen, dass der Gekreuzigte aus der Gesellschaft der Menschen ausgeschlossen ist. Und auch wegen des Verwesungsgeruchs, denn ein Gekreuzigter wurde nicht bestattet. Das war deshalb schlimm, weil die Menschen glaubten, dass jemand, der nicht bestattet wird, keine Ruhe findet. Auf dem Hinrichtungsplatz waren die senkrechten Balken bereits aufgerichtet und der Verurteilte wurde daran an Seilen hochgezogen. Dann wurden die Füße an den Balken gefesselt oder genagelt. Was folgte, war eine völlige Machtlosigkeit: ein Gekreuzigter konnte sich nicht kratzen. Er konnte sich nicht vor Schmerzen krümmen. Er konnte die Fliegen nicht vertreiben, die in den Wunden sitzen. Der Sitzpflock auf der Mitte des senkrechten Balkens erleichterte ein mühsames Aufrichten und verhinderte zugleich das Zusammensacken und war somit ein sadistisches Wechselspiel, das sich ständig wiederholte. Die Gelenke im Oberarm kugelten aus. Der Körper wurde starr und das Gesicht entstellte sich. So wurden die Gekreuzigten öffentlich zur Schau gestellt. Und so mussten sie ihre Notdurft verrichten. Der Tod trat durch Ersticken, Verdursten oder durch die Schmerzen ein. Die Leichen wurden von wilden Tieren angefressen. Ein Gekreuzigter konnte sich nicht zum Sterben hinlegen. Die Mutter Erde war zu schade für ihn. Ein Gekreuzigter starb heimatlos in der Luft.

28.3.24

Gründonnerstag 

Der Tag hat nichts mit der Farbe „grün“ zu tun. Der Name dieses Tages leitet sich ab vom mittelhochdeutschen Wort „greinen“ und bedeutet so viel wie „klagen“ und „weinen“. Je nachdem, wie man das sehen will. Wie isst man mit Freunden, wenn man weiß, dass es das letzte Ma(h)l ist? Aus nachösterlicher Perspektive ist es das letzte Essen Jesu mit seinen Freunden. Ein Abschiedsessen. Was nachösterlich einer logischen Abfolge von Gründonnerstag – Karfreitag – Auferweckung/Auferstehung entspricht, muss vorösterlich eher einer Befürchtung entsprechen und damit verbunden auch eine stille Hoffnung enthalten, dass Jesus den Tod nicht erleiden muss. Die Frage „Musste Jesus sterben?“ ist eine nachösterliche Frage und will den Sinn dieses bestialischen Kreuzestodes ergründen. Die Heilige Schrift hat dafür eine Vielzahl von Deutungen. Ich nehme die, die bei mir am meisten Resonanz erzeugt. In dieser Deutung wird das Krepieren Jesu draußen auf der Schädelstätte (Golgota ist hebräisch und meint „Schädel“, weil der Hinrichtungsort die Form eines Schädels hatte) mit dem Tempelkult in Jerusalem verbunden. Sie geht so: 

Auf der Erde hat Jesus den Verbrechertod erlitten. Aber im Himmel hat das eine andere Bedeutung. Vor den Toren Jerusalem musste Jesus sterben, während in der Stadt im Tempel Gottesdienst gefeiert wurde. Doch der wahre Gottesdienst findet nicht im Tempel statt, sondern draußen auf Golgota. Das ist ein himmlischer Gottesdienst und der, der vor der Stadt stirbt, ist der wahre Hohepriester. Denn er vereinigt in sich alle Opfer und ist das einzige und wahre Opfer. Er bringt sich selber dar. In Jerusalem gab es viele Opfer und viele Priester. Im Himmel gibt es nur ein Opfer und einen Hohepriester und das ist Jesus. (Hebräerbrief).

Wobei es auch mal Sinn macht, sich dem Opferbegriff zuzuwenden. Dabei hilft die dreifache Bedeutung des „Opfers“ im Englischen weiter: 

  • Victim: passiv – zum Opfer geworden (Verkehrsunfall, Gewalttat) – wie bei Jesus: er war Opfer verschiedener Interessen (Pilatus und der Hohe Rat) – er war ein Opfer von Gewalt und von Sünde
  • Sacrifice: eine Gottheit besänftigen durch ein Opfer – nicht bei Jesus! Stimmt mit Jesu Gottesbild nicht überein.
  • Offering: Hingabe, Geben, Weggeben (Zeit, Kraft, eigenes Leben für andere, ein höheres Gut) – wie bei Jesus! Hingabeformeln: Jesus gibt sich selbst, er wird nicht geschlachtet (pro Existenz – für andere); sein Tod ist Teil seines Lebens; er wäre nie so gestorben, wenn er nicht so gelebt hätte

27.3.24

Dass der Priester Zacharias zweifelte, als ihm der Engel Gabriel die Geburt seines Sohnes Johannes ankündigte, brachte ihm ein mehrtägiges Verstummen ein. Das gehört zum apokalyptischen Szenario. Ihm ist also nicht die Spucke weggeblieben. Er war auch nicht einfach sprachlos. Sein Verstummen war die Folge seines Unglaubens. Als Priester müsste er wissen, dass bei Gott nichts unmöglich ist (1. Mose 18,14). Sein Sohn Johannes („Gott ist gnädig“) macht eine apokalyptisch-endzeitliche Karriere. Er lebte asketisch (kein Wein oder andere berauschende Getränke – auch kein Cannabis). Sein Gewand war aus Kamelhaaren und er hatte einen ledernen Gürtel um seine Hüften. Er aß getrocknete Heuschrecken und wilden Honig. Er kritisierte die Lebensweise des Herodes. Das kostete ihm den Kopf (Markusevangelium Kapitel 6,14-29). 

26.3.24

Es kann keinem Menschen unterstellt werden, er wolle nicht auf seine Weise ethisch verantwortlich leben. Nur klappt das nicht bei jedem und dann landet er im Gefängnis oder wird bestraft. Nimmt man aber mal diese „Gesetzesverstöße“ weg, dann kann man den Menschen abnehmen, dass sie sich um ein Mindestmaß an Anstand bemühen. Anstand klingt altmodisch. Ich habe aber nichts gegen anständige Menschen. Sie wissen, was im Bezug auf den anderen „ansteht“. Sie sind sozialsensibel. Die Moral der Religionen und Kirchen überfordert die Menschen. Wer kann schon von sich behaupten, die 10 Gebote einzuhalten? Oder den Erleuchtungsweg des Buddha vollumfänglich zu gehen? Oder gibt es den perfekten Christen, Juden, Moslem? Oder gar den perfekten Atheisten oder Nihilisten? Es bleibt den Menschen deshalb nur, sich der aufgestellten Moral zu unterwerfen, also unterwürfig zu werden oder sich von ihr zu distanzieren. Johannes der Täufer wusste das und hat deshalb einen menschlichen Raum geöffnet. Statt die Menschen der Hölle und dem Untergang preiszugeben, hat er ihnen die Umkehr geschenkt. Sinnbild der Umkehr war die Taufe. 

25.3.24

Johannes, der Täufer hatte eine handfeste Moral, die keinen überfordert hat. Beispiele: „Wer was doppelt hat, gebe dem, der nichts hat.“ (Adressat: Reicher) / „Fordere nicht mehr, als festgesetzt ist.“ (Adressat: Zöllner) / „Begehe gegen niemand eine Gewalttat und Erpressung. Seid zufrieden mit eurem Sold.“ (Adressanten: Soldaten). Wie würde Johannes heute reden – zu Politikern, Pfarrern, Richtern, Bürgermeistern, Lehrern? Ausgenommen die Kinder natürlich! 

24.3.24

Palmsonntag. Um in der Tiefe zu verstehen, was heute abgeht, muss man sich frei machen vom Gedanken der logischen Abfolge. Es liegt dem Geschehen dieser (Kar)Woche kein Plan zugrunde. Nichts, was geschieht, ist logisch oder konsequent. Wenn es so wäre, dann könnten wir uns vom Geheimnis dieser Woche verabschieden. Machen wir uns ehrlich! Dann verstehen wir die überschwängliche Freude, die am heutigen Tag einst ausbrach. Als Jesus mit seinen Anhängern in Jerusalem einzog, um wirklich werden zu lassen, was er auf seiner Wanderschaft wie ein Mantra predigte: Das Reich Gottes kommt! Gott wird uns von den Römern befreien! Endlich! Begeben wir uns hinein in die Dynamik dieses Tages, dann heißt das für uns: Nichts weniger als dass endlich Gerechtigkeit in diese Welt einzieht ist Grund einer großen Freude. Palmsonntag heißt: Niemals die Hoffnung auf das Kommen Gottes aufgeben oder anders: Sein Ankommen begeistert feiern! 

23.3.24

Jesus traf Johannes in „Betanien jenseits des Jordan, wo Johannes taufte.“ Das ist nicht mit dem Betanien südlich von Jerusalem zu verwechseln. Das Betanien des Johannes meint ein ganzes Gebiet, nämlich Batanea, das im Bereich des südlichen Golan im Norden Israels liegt. Johannes ist gewandert: von Norden nach Süden, um alle Israeliten mit seiner Umkehrbotschaft zu erreichen. Von „Dan bis Beerscheba“ (1. Samuel 3,20) war das Gebiet der 12 Stämme Israels. So wie Johannes ist Jesus dann auch gewandert. Er hatte auch Jünger bei sich, unter anderen waren das die Fischer Petrus und Andreas, die sich später Jesus anschlossen. 

22.3.24

Die Umwertung der von Menschen gemachten Ordnung (Siegertypen, Reiche und Mächtige oben auf, gesunde und fitte Menschen allerorten etc.) ist ein Zeichen des apokalyptischen Umsturzes (Sturz der Mächtigem und Erhöhung der Niedrigen). Der Engel Gabriel ist der vorgeburtliche Bote Gottes sowohl bei Johannes als auch bei Jesus. Es war höchste Zeit! Zeit der Umkehr! Es hat die Stunde geschlagen! Keine Zeit mehr für Nebensächlichkeiten! Jetzt kommt es drauf an!

21.3.24

Jesus hatte eine durchaus kritische Einstellung zum Tempel in Jerusalem und damit zur Priesteraristokratie. Sein Wort, er werde den Tempel abreißen und einen anderen in drei Tagen aufbauen, wurde ihm u.a. zum Verhängnis. Dieses Wort steht in der Tradition der Propheten, die wie Jesaja sich darüber Gedanken machten, welche Rolle der Tempel spielen kann, wenn es zur großen Wallfahrt der Völker zum Zion kommen wird (Jesaja 25). In den Tempel ging man, um zu beten und zu opfern. Von Jesus wird folgendes berichtet: „Jesus ging zum Tempel hinauf und lehrte.“ (Johannes 7,14). Der Tempel war für ihn seit dem 12. Lebensjahr ein Bet-ha-Midrasch, ein Lehr- und Lernhaus. Der Grund für seinen späteren Wutausbruch, als er das Treiben im Tempel beobachtete.

20.3.24

Jesus und Johannes wurden in eine endzeitlich-apokalyptischen Grundstimmung hineingeboren und sind in ihr aufgewachsen. Zahlen spielen in der Apokalyptik eine große Rolle. Im Danielbuch wird die Zahl 70 genannt. Der Engel Gabriel, der Bote Gottes, spricht zu Daniel: „70 Wochen sind verhängt über dein Volk und über deine heilige Stadt; dann wird dem Frevel ein Ende gemacht und die Sünde abgetan und die Schuld gesühnt, und es wird ewige Gerechtigkeit gebracht und Gesicht und Weissagung erfüllt und das Allerheiligste gesalbt werden.“ (9,26) Die 70 und die damit verbundene Prophezeiung übernimmt das Lukasevangelium und macht sie zum Zeitraster seiner Vorgeschichte. Von der Ankündigung der Geburt Johannes des Täufers bis zur Ankündigung der Geburt Jesu sind es 6 Monate (Lukas 1,26), von der Ankündigung der Geburt Jesu bis zur Darstellung Jesu im Tempel sind es 9 Monate und 40 Tage (Lukas 2,22). Das sind – rechnet man den Monat mit 30 Tagen – 490 Tage, also 70 Wochen. Nach Lukas ist also mit Jesus die in Daniel prophezeite Endzeit angebrochen. Bei Jesus heißt das so: „Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.“ Es sollte mit seinem Einzug in Jerusalem (kommender Palmsonntag) wirklich werden. 20 Jahre lang kann man nämlich nicht behaupten, dass etwas im Kommen sei. Irgendwann glaubt einem das niemand mehr. 

19.3.24

Jesus war mit Johannes mütterlicherseits verwandt Er ließ sich von ihm taufen. Die Taufe durch Johannes und die Kreuzigung Jesu sind historisch gesichert. Jesus hat sich Johannes als Lehrer ausgesucht. Aber warum? Hatte er das nötig? Der außerbiblische Zeuge Josephus Flavius schreibt über Johannes: „Er war ein ehrenwerter Mann, der die Juden zur Tugendübung begeisterte, zur Gerechtigkeit gegeneinander, zur Frömmigkeit gegen Gott und zum Empfang der Taufe ermahnte.“ (Jüdische Altertümer XVII, 5,2) Von seinen Eltern Elisabeth und Zacharias heißt es, dass sie gerecht vor Gott waren und streng lebten nach den Geboten und Satzungen Gottes (Evangelium nach Lukas 1,6). 

18.3.24

Jesus und sein Vater. Das war für ihn bald klar, wer das war. Der, der den ganzen Menschen will bzw. das Beste von ihm: seine Liebe. So ist es im Grundbekenntnis der Juden beschrieben: „Liebe Gott mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft.“ (5. Mose 6,4f.) Abbá war für ihn sein Gott. Von ihm kommt er nicht mehr los. Doch von seiner Mutter muss er sich lossagen. Sie war es, die ihn bedrängt und für verrückt erklärt hat. Auf ihre Vorwürfe antwortet er aus der Liebe zu seinem „Vater“ heraus. „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ (Lukas 2,49)

17.3.24

Gestern klingelte es. Ich öffnete die Tür und wurde von zwei jungen Frauen begrüßt. Ich ahnte schon was, fragte aber trotzdem: „Was verschafft mir die Ehre?“ Sie waren geschmackvoll angezogen und attraktiv anzusehen. Sie hatten eine Einladung für mich zu einem „Gedenken an den Tod Jesu“. Das wird bei den Zeugen Jehovas in Endingen am Karfreitag wohl groß gefeiert. Ich sagte ihnen: „Da sind Sie bei mir gerade richtig. Ich bin Pfarrer.“ Das schreckte sie nicht. Sie wollten mir dann vom Sinn des Todes Jesu erzählen, ausführlich. Als ich erwiderte, dass dieser Tod komplett sinnlos gewesen war und nur von der Auferstehung her einen Sinn bekommen kann, hatte ich sie wohl vor den Kopf gestoßen. „Auferstehung?“, fragten sie mich. Ich verstand nicht richtig. „Der Tod Jesu erlöst uns von unseren Sünden.“ Ich fragte zurück: „Welche Sünden?“ Zu mehr kam es nicht zwischen uns – eigentlich schade, weil ich merkte, dass sie eine Antenne für Transzendenz hatten.

Der heutige Sonntag heißt „Judica“, abgeleitet von Psalm 43 („Verschaffe mir Recht, Gott!“ – lat. „Judica me Deus!“). Es geht um die Suche nach dem Recht, das einem unschuldig Leidenden zusteht und der Durchsetzung dieses Rechts. Also ein anderes Recht als das des Stärkeren. Es ist das Recht des Reiches Gottes, in dem die Armen vorne sitzen und die Letzten der Gesellschaft die Ersten sind. Verkehrte Verhältnisse! 

16.3.24

Jesus, der Schüler! Nicht allwissend. In den „Kindheitserzählungen des Thomas“ allerdings wird Jesus als ein Kind dargestellt, dem man nichts mehr beibringen kann. Es ist allen – auch den Gelehrten – haushoch überlegen. Damit ist eine Jesusvorstellung verbunden, die ihn von jeder irdischen Wirklichkeit entrückt. Ein spielender Jesus mit dreckigen Kleidern? Aber unbedingt! Mir selbst ist in der S-Bahn auf der Fahrt von Bahlingen nach Freiburg in einer Unterhaltung mit einem älteren Mädchen diese Vorstellung eines chemisch-reinen Jesus begegnet. Ein „steriles“ Wesen, ein „Musterknabe“, der alles kann, den nichts erregt und aufregt. So einen Helden hätte man gern – gerade in frommen Kreisen. Leider ist dieser Super-Jesus nicht der Jesus der Bibel! 

15.3.24

Im „Jüdischen Krieg“ II,8.2 berichtet Josephus Flavius, dass es im jüdischen Kloster Qumran am Toten Meer ein Internat gab, um die Jungen religiös zu bilden. Das zeigt, dass jüdische Kinder früh die Thora (auswendig) lernten, um die Weisungen Gottes auch leben zu können. Die 4. Klässler staunten heute nicht schlecht, als ich ihnen erzählte, dass Jesus nichts aufgeschrieben hat. Dass er alles, was er brauchte, immer bei sich hatte – und zwar in seinem Herzen. Das hat ihn gerettet, als der „Satan“ ihn rumkriegen wollte (Matthäusevangelium Kapitel 4). Und als er am Kreuz hing, fand er seine letzten Worte nicht aus sich selbst, sondern aus dem, was in ihm als Gottes Worte gelebt hat. PS: Wir sollten aufhören zu sagen, dass wir auswendig lernen. Wir sollten stattdessen „inwendig lernen“ sagen. 

t14.3.24

Jesus konnte schon mit 6 Jahren Teile der Thora auswendig, weil er morgens und abends mit seinen Eltern das Schema Israel gebetet hat. Er lernte seinen Gott kennen im Gebet der Familie und in den Festen: im Opferfest, Wochenfest (vergleichbar mit Pfingsten), am Versöhnungstag, beim Laubhüttenfest, beim Sabbathessen und bei jeder Mahlzeit. Er hört die uralten Erzählungen von der Rettung Israels, von den Bundesschlüssen (Noah, Abraham, Mose, Josia, Nehemia). Jesus hat als Kind das Hören gelernt. Daraus entstand das Lernen. Kinder fragen. Jüdische Kinder werden früh zum religiösen Fragen erzogen. Dem Jüngsten der Familie ist es vorbehalten, bei der Feier des Pessach zu fragen: Was bedeutet diese Feier? Und dann hört er und lernte die Urgeschichte seines Volkes von der Befreiung in Ägypten kennen. 

13.3.24

Und jetzt aufgepasst! Jesus wird in Matthäus 1,23 als Immanuel (hebr. Gott mit uns!) bezeichnet. Wenn er also Gott verkörperte auf dieser Erde, dann lernte Gott selbst in eben diesem Jesus seine eigenen Weisungen und Gebote am eigenen Leib kennen. In ihm lernte Gott selbst die Thora kennen, die er seinem Volk als Lebensgrundlage gegeben hat. Gott erfuhr durch Jesus, wie es war, diese Thora zu lernen und zu befolgen. Er lernte in Jesus auch, die Thora auszulegen: eng oder weit, belastend oder menschenfreundlich. Ob sie die Menschen aufrichtet oder niederwirft. Für Jesus war klar: die Thora seines „Vaters“ ist vollständig, nichts an ihr darf weggenommen oder hinzugefügt werden. Er hat die Autorität, diese Thora „göttlich“ auszulegen (Bergpredigt – „Ich aber sage euch!“). Jesus lernte die Weisungen Gottes im konkreten Leben seiner Familie. Er lernte sie im normalen Lebenszug von Arbeiten und Beten. Auswendig! Bis zur Reife. Und dann trat er in die Öffentlichkeit!

12.3.24

Die Verwandtschaftsverhältnisse Jesu: seine leibliche Mutter hieß Maria. Sie war verwandt mit Elisabeth, die aus dem Priestergeschlecht des Aaron kam. Ihr Mann Zacharias gehörte auch zu einem Priestergeschlecht. Sie waren ein thorakundiges Ehepaar. Elisabeth war mit Johannes schwanger, Maria mit Jesus. Maria besuchte ihre Verwandte Elisabeth. Bei diesem Besuch stimmte Maria das Magnificat an. Damit zeigte sie sich als thorakundige Frau, die in der Freiheitstradition Israels zu Hause ist (Lk 1,52: „Gewaltige hat ER (der Herr) vom Thron gestürzt und Niedrige erhöht.“).  So sang auch ihr biblisches Vorbild Miriam. Joseph, der Mann von Maria, war Davidide (siehe Matthäusevangelium). Und er war „gerecht“=zadak (hebr.). Das meint, dass er ein thorafrommer Jude war, der den Weisungen und Geboten Gottes entsprechend handelte. Er folgte dem Grundsatz: „Halte dich an die Weisungen Gottes, aber lege sie barmherzig aus.“ Deshalb stellte er Maria, die nicht von ihm schwanger war, nicht bloß. Er wollte sie heimlich verlassen, was der Engel Gottes ihm ausredete. Hätte er sie öffentlich verlassen, wäre sie vermutlich gesteinigt worden. Jesus wuchs also in einer Familie auf, die in und nach der Thora lebte. Und er lebte in dem Bewusstsein auf, dass er ein Nachkomme Davids war, des größten Königs von Israel.

11.3.24

Wo hatte Jesus seinen ersten Religionsunterricht? Es gibt eine Szene, die der Evangelist Lukas berichtet. Ein Bar Mizwa, ein 12-jähriger Jude (vergleichbar einem Konfirmanden heutiger Zeit), sitzt im Tempel in Jerusalem und diskutiert mit Schriftgelehrten. Sie staunen über seine Thorakenntnis. Wo hat dieser Junge das her? Ein Junge, der aus Nazareth stammt, wo es nur ein kleines jüdisches Lehrhaus gab? Die Kenntnis der Thora fällt nicht vom Himmel. Sie muss durch intensives Hören und Lernen erarbeitet werden. Von Jesus wird nicht berichtet, dass er etwas niedergeschrieben hat wie andere große Lehrer und Religionsstifter. Vom ersten Augenblick seines irdischen Lebens wurde Jesus in die Glaubenstraditionen seines Volkes eingeführt. Und er lernte und kannte sie auswendig. Das war die Voraussetzung für sein späteres Leben als wandernder Prediger…

10.3.24

Sonntag Lätare=freuen. Man nennt ihn auch den Sonntag des „kleinen Ostern“. Denn mitten im Leiden gibt es ein Lichtblick, weil der Trost nicht weit ist. Freude und Trost sind „Geschwister“. Es gibt ein Geheimnis heute: im Sterben eines Menschen für alle Menschen, in dieser völligen Hingabe zeigt sich, wozu die Liebe fähig ist. Jesus war diese Liebe Gottes. Er lebte sie mit Haut und Haaren in seinem Reich. Sie war für ihn das, was sich lohnte, gewollt zu werden. Unbedingt. Da kommt mitten auf dem Passionsweg ein Hauch von Freude auf – und Dankbarkeit! 

9.3.23

Zur Zeit Jesu war die Zahl der Entwurzelten, also derer unter der Unterschicht, auf 30% der Gesamtbevölkerung angewachsen. In Lukas 6,20 und Matthäus 5,3 (Seligpreisungen) spricht Jesus diese Entwurzelten direkt an und sagt zu ihnen: „Ihr seid zu beglückwünschen. Denn euch gehört das Reich Gottes.“ Die Letzten und die Allerletzten werden da in der ersten Reihe sitzen. Diese Aussage Jesu ist nicht spirituell, sondern existentiell. Wie kam es zu diesem Verelendungsprozess in Galiläa und Judäa? Erstens: die überdimensionierte Bautätigkeit des Herodes verschlang Unsummen an Steuergeldern. Zweitens: der Zensus des Augustus (Lukas 2,1) forderte weitere Einnahmen. Drittens: an den Tempel musste der Zehnte abgeführt werden. Viertens: Missernten. Jesus war erschüttert von diesem Elend. Wer den Weg Jesu gehen will, muss sich also dem Thema „Armut“ widmen. Die Glaubwürdigkeit der Christen und der Kirchen steht und fällt mit diesem Thema. 

8.3.24

Jesus ist nicht als fertige Person auf die Welt gekommen. In ihm ist entstanden, was er später geworden ist, gesagt und getan hat. Jesus ist aufgewachsen. Seine Familie war in der damaligen Unterschicht zu Hause. 3% zu seiner Zeit bildete die Oberschicht, also Menschen, die nicht arbeiten mussten. 5% bildeten die Mittelschicht. Das waren Goldschmieder und Kunsthandwerker. 80% bildeten die Unterschicht. Das waren Tagelöhner, normale Arbeiter und Sklaven. Sie hatten kein Geld, um Fleisch zu essen. Das war die gesellschaftliche Schicht, zu der Jesus gehörte. 10% waren Entwurzelte, also Bettler. Im Neuen Testament werden sie ptochoi genannt. 

7.3.24

Es gibt Bücher, die erden. Das Buch von Wilhelm Bruners ist so ein Buch. Es heißt: „Wie Jesus glauben lernte“ und ist bei Herder erschienen. Dr. theol. Bruners war von 1987 bis 2006 im Benediktinerkonvent der Jerusalemer Dormitio-Abtei auf dem Zion und in Tagba. In den folgenden Tagen werden ich hier das Buch besprechen. 

6.3.24

Die Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes sind keine Geschichtsreportagen im modernen Sinn. Sie haben historische Informationen und haben vorrangig ein religiöses Interesse. Sie sind Propagandatexte. Sie werben für den Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Juden Jesus von Nazareth. Sie sind eine einzigartige Textgattung. Sie sind nach Ostern geschrieben (70-90 n.Chr.). Historisches im nächtlichen Verhör nach Markus 14, 53ff.? Gesichert die Aussage Jesu: „Ich bin es.“ auf die Frage des Hohepriesters Kaiphas, ob er der Messias sein. Und die ergänzende Antwort: „Ihr werdet sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen mit den Wolken des Himmels.“ Diese letzte Aussage Jesu ist deshalb gesichert historisch, weil sie als Prophezeiung nicht eingetroffen ist und niemand ein Interesse daran hat, eine nicht eingetroffene Prophezeiung in ein Evangelium einzubringen. 

5.3.24

Jesus in Jerusalem. Warum nur? Seine Zeit in Galiläa war ok. Er selbst war ein Galiläer. Kapernaum am See Genezareth war seine Heimat geworden. Hier war sein EinundAlles entstanden. Das Reich Gottes – seine große Liebe. Sein Meer, in dem er sich bewegte wie ein Fisch. Sein Element, in dem und aus dem er lebte und das sein Leben ausfüllte. Warum nicht auch in Jerusalem? Was in Galiläa im Kleinen keimte, sollte und konnte es sich in Jerusalem nicht zur vollen Blüte entfalten? Es gab aus seiner Sicht nur diesen einen Grund, nach Jerusalem zu gehen. Doch wehe, du triffst auf eine Institution! Doch wehe, du willst dein zartes Pflänzlein in den harten Boden einer Machtzentrale einpflanzen! Doch wehe, du lieferst dein Bestes Leuten aus, die mit allen Abwassern dieser Welt gewaschen sind! Für Jesus gab es offenbar keine Alternative zu Jerusalem. Was in Galiläa möglich geworden war, sollte in Jerusalem wirklich werden. Doch die Möglichkeit des Herzens und die harte Realität einer möglichkeitsfremden Wirklichkeit finden nie zueinander. Das Harte wird das Sanfte immer kaputt machen. Statt eines seelsorglichen Gesprächs mit dem charismatischen Galiläer führte die geistliche Elite ein Verhör durch. Wie unpassend! Wie unsensibel! Wie armselig! 

4.3.24

Der Mensch lernt immer noch was dazu. Manchmal ist das schmerzhaft. Ist man – so wie ich – nicht mehr berufstätig, muss man lernen sich einzureihen. Nicht mehr vorne stehen ist eine Erleichterung, aber auch ein Verlust. Im Leben gibt es also zugewiesene Plätze. Und wer sagt denn, dass die zweite oder dritte Reihe uninteressant sind?

3.3.24

Der Sonntag Okuli („Die Augen des Herrn merken auf die Gerechten“ Psalm 34) ist geprägt von Lukas 9,62: „Wer sein Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.“ Jesus war nun mal kompromisslos, wenn es um Alles ging. Das Reich Gottes war das, was sich für ihn lohnte, gewollt zu werden. Und deshalb war es logisch für ihn, diese „Rücksichtslosigkeit“ so an- und auszusprechen für die, die das genauso wollen wie er. 

2.3.24

Ich suche nach meinem Leben in Seinem. Es sind zwei Elemente, die mich mit ihm verbinden. Geboren und begraben. Und was dazwischen geschieht. Was nicht wenig ist, aber auf dem Weg Jesu doch eine gewisse Relation erfährt, was gut tut. Geboren und begraben werden sind existentielle Ereignisse, die jedem Menschen widerfahren. Gelitten möchte ich für mich nicht ganz ausschließen. Doch hat sein Leiden Erlösungsqualität und deshalb bleiben die ersten beiden übrig. Das zu wissen ist wichtig für mich. Denn wer ein Wissen um etwas hat, hat auch ein Gewissen. Und wo aus einem Wissen ein Gewissen wird, erwächst ein Bewusstsein. Und wo ein Bewusstsein ist, ist Haltung. Selbstbewusstsein ist gut und wichtig. Doch ist es nicht das, was ein Christusbewusstsein ausmacht. 

1.3.24

Was liegt zwischen geboren und gelitten? Ein Leben. Ein Arbeitsleben. Ein selbst bestimmtes Leben. Worte, Taten, gelebte Liebe. Nicht der Rede wert? Oft ist das, was nicht gesagt wird, besonders viel wert. Doch sollte man das, was man tun und erreichen kann mit seiner eigenen Kraft, nicht zu hoch hängen. Ist das die Botschaft dieses wortlosen Zwischenraums im Credo? Der hier beschriebene Weg Jesu ist anziehend. Es gibt noch mehr im Leben als Selbstbestimmtheit. Will er das sagen? Das Entscheidende geschieht davor und danach. Der Weg Jesu, auf den ich einbiegen kann, nimmt mich in Dimensionen mit, die ich selbst nicht schaffen kann. 

29.2.24

Empfangen – geboren – gelitten – gekreuzigt – gestorben – begraben. Das sind die Passivverben, die die erste Hälfte des Lebens Jesu im Credo des 4. Jahrhunderts, das in den Kirchen bekannt wird, beschreiben. Hinabgestiegen – auferstanden – aufgefahren – sitzen – wieder kommen – richten. Das sind die Aktivverben, die die zweite Hälfte des Lebens Jesu beschreiben. Also eine passive und eine aktive Sichtweise des Lebens Jesu. Was aber ist zwischen begraben und hinabgestiegen passiert? Wie kam es zur Wandlung von Passivität zu Aktivität?

28.2.24

Jede Frage hat einen Kontext. Die Frage „Warum musste Jesus sterben?“ hat den nachösterlichen Kontext. Und es gibt im Neuen Testament darauf nicht die eine, sondern viele Antworten – in den Briefen des Paulus und in den Evangelien. Wer also den Menschen nur eine Antwort präsentiert („Jesus ist für unsere Sünden gestorben!“) macht sich schuldig am Reichtum der Heiligen Schrift und vergeht sich am Glauben der Menschen. Denn die verschiedenen Antworten sind nicht zufällig und auch nicht willkürlich. Sie berücksichtigen die Resonanz des Menschen. Nicht jede Antwort findet bei jedem Menschen denselben „Anklang“. Dieser Vielfalt muss der und die verantwortliche Geistliche gerecht werden. Andererseits gibt es hoffentlich auch mündige Gläubige, die sich keinen Bären aufbinden lassen und ihre Geistlichen fragen: „Ist das die einzige Antwort?“ Wenn die Antwort „Ja“ lautet, dann darf der Christ sagen: „Wirklich? Die sagt mir aber nichts. Ist das alles, was die Bibel zu bieten hat?“ Spätestens dann muss sich der oder die Geistliche ans Bibelstudium machen, sonst geht ihnen noch jemand verloren…

27.2.24

Gestern Abend im ZDF: „Sie sagt. Er sagt.“ von Baldur von Schirach. Ein Vergewaltigungsprozess. Der Verteidiger der Klägerin führt den Grundsatz „in dubio pro reo“ (Im Zweifel für den Angeklagten) auf überzeugende Weise ad absurdum. Ein anderer Grundsatz ist für mich genauso zweifelhaft: die Wahrheit sagen. Das forderte die Richterin von den aufgerufenen Zeugen. „Die Wahrheit sagen“ klingt für mich so, als wäre da ein Mensch, der sich entschließt, nach der Wahrheit zu greifen und sie zu „sagen“. Quasi so wie wenn man in einem Geschäft nach einer Ware greift und sie dann hat und in den Warenkorb legt. Die Wahrheit als verfüg- und vorzeigbares Produkt! Möglicherweise wollte von Schirach auch diesen Grundsatz anzweifeln. Denn „die Wahrheit sagen“ geht nicht. Die Wahrheit als isoliertes Produkt gibt es nicht. Sie ist immer personenbezogen und es gibt sie nur auf der Beziehungsebene. Deshalb sollte die Frage der Richterin lauten: „Möchten Sie hier in diesem Gerichtssaal uns und allen Anwesenden gegenüber als wahrhaftige Person auftreten und ehrlich zu uns sein?“ Die „Wahrheit sagen“ ist eine Erwartung, die sich an einem Ideal orientiert. An Idealen ist aber die Menschheit noch immer gescheitert. 

26.2.24

Das Menschliche ist wichtig – auch in der Kirche. Und manchmal ist ein Mensch einfach nicht zu ertragen – auch in der Kirche. Wie wohltuend ist ein Mensch, der auf einen zukommt und eine Zurückhaltung ausstrahlt, noch bevor er ein Wort gesprochen hat. Und es kommt ein Mensch auf einen zu, der einem die Luft nimmt, nachdem er einen Satz gesprochen hat, weil er sein dominantes Wesen verbergen kann. Gegenwart ist etwas sehr Heikles. Und gerade in ihr geschehen die wesentlichen Dinge des Lebens. 

25.2.24

Der heutige Sonntag „Reminiscere“ („Gedenke!“) nimmt uns mit zur Barmherzigkeit Gottes. Er hat seinen Namen aus Psalm 25, wo es in Vers 6 heißt: „Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind.“ Das dürfen wir und zu Zeiten, die zum Himmel schreien, sollen wir Gott wachrütteln und ihn an sein Wesen erinnern – sein Barmherzig sein. Sie ist es, die Jesus in Person war. Er war es, der sein Herz bei den Armen hatte, was im eigentlichen Sinn „Barmherzigkeit“ bedeutet. 

24.2.24

Soll Kirche politisch sein? Auf jeden Fall. Allein schon ihre Existenz ist ein Politikum. Deshalb befremdet mich das Wort der katholischen Bischofskonferenz, demnach ein Christ niemals die AfD wählen dürfte, weil sie im Kern eine völkische Partei sei. Wenn die Kirche politisch sein will, dann darf sie nicht parteipolitisch argumentieren. Sie muss geistlich argumentieren. Aber sind wir im Blick auf die AfD schon so weit wie 1934, als sich die Bekennende Kirche leider zu spät zum Barmer Bekenntnis durchrang? Wenn schon, dann muss die Kirche in ihrem wegweisenden Wort auf ihrem Niveau bleiben. Und das ist geistlich. Die Frage an einen Christen würde dann heißen: Wenn du an Jesus, den auferstandenen Juden glaubst – kann du in diesem Glauben guten Gewissens die AfD wählen?

23.3.24

Wirklichkeitsmensch und Möglichkeitsmensch – eine hilfreiche Unterscheidung von Robert Musil. Von Franz Kafka sagt man, er sei ein Virtuose der Möglichkeiten gewesen. Doch was macht ein solcher Virtuose mit dem Nadelöhr der Wirklichkeit? Und muss sich ein Wirklichkeitsmensch nicht immer wieder mal fragen, ob er hinter seinen Möglichkeiten bleibt? 

22.2.24

Der transzendente Mensch hat die wichtigste Frage des Lebens beantwortet: Was lohnt es, gewollt zu werden? Mit seiner Antwort, die er lebt, hat er keinen Platz in der Tagesordnung der Welt, zu der auch die Kirche gehört. Nach Kierkegaard kann nur der Einzelne die Wahrheit sein. Und das ist der transzendente Mensch. Deshalb fasziniert mich Jesus. Seine Antwort auf die Frage „Was lohnt es, gewollt zu werden?“ war das „Reich Gottes“. Deshalb war er nicht verheiratet. Das war der entscheidende Punkt, um von seiner Familie als „verrückt“ bezeichnet zu werden. Transzendenz und „laufender Betrieb“ kommen niemals zueinander. „Was sich gehört“ und „sein muss“ passen nicht zu einem transzendenten Menschen. Seine Antwort, die er lebt, ist sein Preis für ein „anderes“ Leben, das ihn zum Außenseiter macht. Der Antipode des transzendenten Menschen ist der Oberflächliche. 

21.2.24

Großes Leid gibt es da, wo ein Mensch bevormundet wird und sich nicht entfalten kann. 

20.2.24

Freiheit und Abstand sind Wohltaten des Alters.

19.2.24

Der Mensch hat eine Schieflage. Er möchte allmächtig sein. Das drückt sich in seinem Sorgen und seinem Hadern aus. Mit den Sorgen meint er, die Zukunft in den Griff zu bekommen. Mit dem Hadern meint er, die Vergangenheit ändern zu können. Wer kapiert, dass das keinen Sinn macht, lebt leichter. Jesus meinte, es sei eh besser, sich nicht zu sorgen und lieber die Blumen zu betrachten und über den Flug der Vögel zu staunen. Im JETZT leben könnte eine tägliche Übung sein. 

18.2.24 Sonntag Invocavit

Im Bezug auf das Glaubensbekenntnis könnte man sich fragen: Was ist eigentlich passiert zwischen „Begraben“ und „Hinabgestiegen“? Wer das möchte, kann sich mit der aktuellen Predigt auf dieser Homepage unter „Predigten“ beschäftigen. 

17.2.24

„Dem Herren musst du trauen, wenn dir´s soll wohlergehn; auf sein Werk musst du schauen, wenn dein Werk soll bestehn. Mit Sorgen und mit Grämen und mit selbsteigner Pein lässt Gott sich gar nichts nehmen, es muss erbeten sein.“ (Evangelisches Gesangbuch Nr. 361,2 Paul Gerhardt)

16.2.24

Die Kirche muss es vormachen. Sie muss sich der ständigen Aufgabe unterwerfen, ihre Worte und ihre Taten zu reflektieren und sich ihrer Wurzel bewusst zu werden. Das muss sie tun, wenn sie sich nicht verlieren will an Parteien und gesellschaftliche Strömungen. Dieser Prozess der Selbstreflexion ist die Grundbedingung dafür, dass Kirche als Botschafterin der Transzendenz geschätzt wird. Kirche ist für alle da. Aber nicht für jede Meinung. 

15.2.24

Als ich in den 1980er Jahren mit meinen Konfirmanden das KZ Dachau besuchte, wollten wir in München auch in die Synagoge gehen. Sie lag in der Reichenbacherstraße. Als wir da ankamen, war das eine lange Straße mit Wohnblocks. Da also musste die Synagoge sein. Wir mussten nicht lange suchen. Denn sie wurde (damals schon) von einem Polizeiauto bewacht. 

14.2.24

Aschermittwoch! Wird ab heute bis Ostern so hart gefastet wie zuvor ausgelassen gefeiert wurde? Oder geht man einfach nur zur Tagesordnung über? Und verpasst damit die Chance zur Transformation des eigenen Lebens?

13.2.24

Wer gegen Antisemitismus auf die Straße geht, sollte auch wissen, wofür er sich einsetzt. Was weiß ein so Demonstrierender von den Semiten und den Juden? Von Dietrich Bonhoeffer stammt der Ausruf: „Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen.“ Sein Freund Eberhard Bethge hat das festgehalten. Ob es eine Reaktion Bonhoeffers auf die Rassengesetze von 1935 oder die Reichskristallnacht von 1938 war, ist nicht belegt. Was bedeutet die Überzeugung Bonhoeffers heute? Schön singen reicht nicht. Wer Lieder singt, die Jesus preisen, muss wissen, dass Jesus Jude war. Aus einem Lobpreislied muss der engagierte Einsatz für die Judenheit in Deutschland werden, sonst sind solche Lieder nur Geplärr (vgl. die Kultkritik des Propheten Amos). 

12.2.24

Was ist die Wahrheit? Nach Sören Kierkegaard muss die Frage heißen: Wer ist die Wahrheit? Und seine Antwort war: der Einzelne. Nur ein einzelner Mensch kann die Wahrheit sein. Konsequenterweise war die Masse für Kierkegaard suspekt bis verdächtig.

11.2.24

Fasnetsonntag! Fasnetsonntag? Die Fasnet hat mit dem Sonntag so wenig zu tun wie der Sonntag mit der Fasnet. Der „Narr um Christi willen“ (1. Korinther 4,10) ist keine Silberberghexe. Die Kirche sollte „verrückt nach Christus“ sein. Attraktiv ist die Kirche, wenn sie bei ihrer eigenen „Verrücktheit“ bleibt.  Dem Fasten als christliche Tugend muss nicht ein Fress- und Saufgelage vorausgehen – wie seit dem 13. Jahrhundert belegt. Die Zeiten sind vorbei, in denen den Menschen bestimmte Speisen und Getränke von einer moralischen Institution für bestimmte Zeiten verboten werden. Fasten im modernen Sinn ist Maßhalten das ganze Jahr über. Extreme in jede Richtung sind nicht gesund. 

10.2.24

Man kann Menschen nur gewinnen, wenn man sie nicht verloren gibt. 

9.2.24

„Was passiert an Fastnacht?“, fragte ich heute in der 4. Grundschulklasse. Antwort: „Da wird der Winter vertrieben.“ Ich frage zurück: „Welcher Winter? Wieso soll etwas vertrieben werden, was es gar nicht mehr gibt?“ Die Schüler schauen mich fassungslos an, stimmen mir zu und kommen von selbst auf das Thema „Klimawandel“. „Man könnte aber die Autos vertreiben und alles Böse in der Welt“, schlug ein Schüler vor. Fastnacht verbinden die Kinder mit Verkleiden und Spaß. Und nicht vergessen, wo das Ganze herkommt: Carne valis  = „Fleisch lebe wohl!“.

8.2.24

Das Leben kann kein Spiel sein. Siegen und verlieren sind keine Kategorien für das Leben. Siegen und verlieren machen so gesehen auch keinen Sinn. Sie sind nicht nachhaltig. Ich frage mich ernsthaft: Was überwiegt beim Spielen mehr: die Lust zu gewinnen oder die Angst, nicht verlieren zu können?

7.2.24

Seit einiger Zeit beschäftigt mich die Frage: Was lohnt es, gewollt zu werden? Die Frage führt mich über mich selbst hinaus. Nur wohin? Jesus hat diese Frage für sich mit dem Einsatz für das „Reich Gottes“ beantwortet. Deshalb hat er auf einen zentralen Lebensinhalt eines damaligen jüdischen Mannes und Rabbis verzichtet: heiraten und Familie haben. Es geht also nicht darum zu fragen: Was will ich? Sondern darum zu fragen (wenn man sich denn auf diese Fährte begeben will): Was lohnt es, gewollt zu werden?