Predigten

Zur Orientierung:

    1. Predigt über Römer 8,14-17 in Herbolzheim
    2. Predigt über Leviticus 19,1-18.33.34 in Waldkirch
    3. Predigt über Lukas 13,10-17 in Königschaffhausen – die gekrümmte Frau
    4. Traueransprache Günter Adler in Bahlingen
    5. Predigt über 5. Mose 30,1-10 in Weisweil / Israelsonntag
    6. Traueransprache Anja Baer in Endingen
    7. Predigt über Apostelgeschichte 8,26-39 in Freiburg Melanchthongemeinde / Tauferinnerung
    8. Predigt zu Johanni in Königschaffhausen 
    9. Predigt über Epheser 1,3-14 in Gundelfingen / Trinitatis 2024
    10. Predigt über Apostelgeschichte 1,3-11 in Bahlingen / Himmelfahrt 2024
    11. Traueransprache Gustav Koch in Bahlingen
    12. Predigt über 2. Mose 32,7-14 in Tutschfelden / Rogate 2024
    13. Predigt über Offenbarung 15,2-4 in Freiburg Melanchthongemeinde / Kantate 2024
    14. Predigt über 2. Korinther 4,14-18 in Königschaffhausen und Leiselheim / Jubilate 2024
    15. Traueransprache Helga Böttcher / Friedwald Freiamt
    16. Predigt über Johannes 20,19-29 in Freiburg Melanchthongemeinde / Quasimodogeniti 2024 / Jünger Thomas!!!
    17. Predigt über Matthäus 4,1-11 in Freiburg Melanchthongemeinde / Invocavit / 18.2.24
    18. Traueransprache Helga Voegele in Bahlingen
    19. Traueransprache Amalie Schmidt in Bahlingen
    20. Predigt über Markus 4,26-29 in Ringsheim und Herbolzheim / Sexagesimae / Reich Gottes
    21. Predigt über Hebräer 12,12-18 in Eichstetten / 2. Sonntag nach Dreikönig

 

1. Predigt am 14. Sonntag nach Trinitatis in Herbolzheim

Grundlage: Römer 8,14-17

Ich muss gar nichts! Als ich, liebe Gemeinde, im BZ-Shop in Freiburg Karten für ein a-capella Konzert kaufte, wusste ich es nicht. Als meine Frau und ich dann im großen Zirkuszelt auf dem ZMF-Gelände Platz genommen hatten, wussten wir es auch noch nicht. Ahnungslos freuten wir uns auf das Konzert mit Ringmasters und Anders. Haben wir noch nie gehört, hörte sich aber verheißungsvoll an. Als das Konzert losging, waren wir hin und weg. Vier Schweden bezauberten uns eine Stunde lang mit ihren Gesangskünsten. Das Publikum applaudierte und die Vier gaben eine Zugabe. Ich fragte mich: Warum geben die vor der Pause eine Zugabe? Na gut! Nach der Pause ging es weiter. Aber dann standen auf einmal 5 junge Männer auf der Bühne. Und jeder hatte ein Mikro vor dem Mund. Und sie rappten und tanzten hin und her. Jetzt verstanden wir: Ringmaster sind die Schweden gewesen und die fünf Jungs sind Anders. Und jetzt verstanden wir auch, warum die Leute gekommen waren. Sie wollten Anders hören. Die kommen aus Freiburg. Ein Heimspiel. Als ältere Menschen hat uns dieses junge Rumgehopse erst nicht so gefallen. Doch mit der Zeit war´s ganz nett. Und dann kam dieses Lied und darin der Satz: Ich muss gar nichts! Immer wieder. Ich muss gar nichts! Seltsam, dachte ich und wunderte mich über die Resonanz, die der Satz bei mir auslöste. Einen Monat später brüte ich über dem heutigen Predigttext aus dem Römerbrief. Da steht: Ihr habt nicht den Geist der Knechtschaft empfangen. Einmal dachte ich über diesen Geist nach und dann über den anderen Geist, den der Kindschaft. Knechtschaft – Kindschaft. Als ich dann zur Ruhe kam, fiel es mir ein. Oder besser gesagt: Habe ich etwas empfangen. Es hat sich was verknüpft. Und dann wusste ich es: vom Geist der Knechtschaft haben Anders gesungen. Ich muss gar nichts! Geist der Knechtschaft. Paulus! Du hättest es mir leichter machen können. Geist der Knechtschaft heißt: Ich muss. Geist der Kindschaft heißt: Ich muss gar nichts! Eigentlich einfach.

Das war schon mal gut. Doch dann war mir klar. Dieser Brief des Paulus an die Jesusgläubigen in Rom sollte ja so was wie eine Visitenkarte des Paulus sein. Paulus war am sortieren und sein Brief, den er in einer Villa eines Gönners in Ephesus diktierte, sollte Themen klären, die es in sich hatten: Adam, Abraham, David, Christusglauben, Gottesgerechtigkeit, Israel, Völker, Sühne, Versöhnung, Kreuz und Auferstehung und Missionsstrategie im Westen des Reiches. So viel kann man nur in einen Brief packen, wenn man die Leute nicht kennt. Bei Paulus und den Jesusgläubigen in Rom war es so. Paulus hat sie nicht gekannt und zeitlebens nie gesehen. Aber sie hatten ja seinen Brief. Und in einem Brief teilt sich ja der Geist eines Menschen mit. Schreibt also mal wieder einen Brief und nicht nur SMS. Im Übrigen. Paulus hat mit seinen Briefen Weltliteratur geschaffen. Zu seiner Zeit reichte für die üblichen Briefe die Fläche einer Postkarte. Paulus hat kurze und sehr lange Briefe geschrieben. Doch selbst die kurzen wie an Philemon oder Titus wären nicht auf die Fläche einer Postkarte gegangen.

Im 8. Kapitel dieses Briefes geht es Paulus um den Status der Jesusgläubigen. Sie sind gesegnet mit dem Geist der Kindschaft. Sprich: sie sind dem Geist der Knechtschaft entrissen. Bei „Knechtschaft“ klingelt´s bei jedem Juden. Paulus war Jude und rechtmäßiger Bürger des Römischen Reichen und Juden waren die, an die er schrieb. Mit Knechtschaft verbinden die Juden die Zeit ihrer Vorfahren in Ägypten. Dort waren sie Knechte, sprich Sklaven. Sie lebten in Angst und Schrecken vor Schlägen und Willkür. Knechtschaft heißt: ich bin ein Nichts. Ich habe keine Rechte und keine Würde. Ich bin ohnmächtig und ausgeliefert. Modern gesprochen: Ich muss funktionieren auf Teufel komm raus! Der kam dann auch in Gestalt eines Aufsehers und seiner Peitsche. Knechtschaft ist gleichbedeutend mit Feindschaft und völligem Ausgeliefertsein. Beim jährlichen Pessach erinnert sich das jüdische Volk an dieses Trauma und an die vielen anderen, die ihm im Lauf seiner Geschichte angetan wurden. Zugleich gehört zu dieser Erzähllinie auch, dass ihr Gott sie in Person des Mose aus der Knechtschaft gelöst und in die Freiheit geführt hat. Heißt: Gott ist stärker als die Herren und Mächte dieser Welt! Diese Wunderlinie bezieht Paulus auf die Jesusgläubigen. Wie das Volk Israel seid ihr Befreite. Ihr sei Kinder des befreienden Gottes. Und weil ihr Kinder seid, seid ihr Erben dessen, was Christus getan hat. Nie wieder Knechtschaft. Nie wieder Unterdrückung. Nie wieder Demütigung. Ihr müsst das nicht! Ihr müsst gar nichts! Ihr seid freie Menschen! Das ist und bleibt die DNA des jüdischen Volkes und durch Christus auch die DNA derer, die an ihn glauben. Festgemacht an Kreuz und Auferstehung.

Jetzt steht in dem heutigen Bibeltext etwas, von dem man meinen könnte, Paulus hätte es direkt von Jesus selbst mitbekommen. Das kann aber gar nicht sein, weil er Jesus zu seinen Lebzeiten nicht begegnet ist. Man kann sagen: Paulus kannte Jesus nicht. Er ist ihm als Auferstandener vor Damaskus erschienen. Das war´s aber auch schon. Paulus musste das, was er hier schreibt und was so original nach Jesus klingt, von anderen überliefert bekommen haben. Es ist dieses: Abbá, lieber Vater! Doch wir müssen genau hinsehen. Denn von Jesus selbst stammt nur das Abbá, den „lieben Vater“ hat Paulus hinzugefügt oder er meinte, das sei die angemessene Übersetzung. In einer durchgehend patriarchalisch geprägten Welt wie damals war das verständlich. Hat dann aber den Blick dafür verstellt, was Jesus selbst mit Abbá meinte. Er war es, der als Erster und Einziger in der Gebetstradition des jüdischen Volkes den „Herrn“ als Abbá angesprochen hat und das ohne jeden Zusatz. Einfach nur Abbá. Was meinte Jesus damit? Abbá war bei Jesus ein Zentralbegriff. 170 x redet er von Gott als von seinem Abbá. Abbá ist ein aramäischer Ausdruck für Gott. Damit betrat Jesus Neuland. Denn mit Abbá wird der Gott als Vater in der Kleinkindersprache und zwar in der Lallform angesprochen. Abbá ist Jesu Version des Gottes des Exodus. Es ist ein zärtliches und intimes Wort für Gott, der sich zuwendet, der für einen da ist. Insofern kann man das Gottesverständnis Jesu als geschlechtsneutral bezeichnen. Dann kommt man auch nicht in die Verlegenheit, Gott als Mutter ansprechen zu müssen. Das passt zur Kindschaft. Kinder haben Vertrauen. Sind wir Gottes Kinder, dann vertrauen wir Gott. Weil wir keine Knechte sind, müssen wir keine Angst vor Gott haben. Er ist unser zärtliches und liebendes Gegenüber.

Ich muss gar nichts! Das müsste unsere Grundhaltung sein, weil uns Gott in den Stand der Freiheit versetzt hat und uns dort sehen will. Natürlich muss man auch. Aber es macht einen feinen Unterschied, ob ich etwas mit gutem Gewissen ablehne oder mich knechten lasse.

Eben. Das ist Anders.

AMEN

2. Predigt am 13. Sonntag nach Trinitatis in Waldkirch / 25.8.2024

Grundlage: Leviticus 19,1-18.33.34

Liebe Gemeinde,

es hängst alles an Ihm. Und alles geht von Ihm aus.

Ich habe mir für heute Nachmittag was vorgenommen. Ich werde auf den Kickplatz in Bahlingen gehen. Es gibt ein Fußballspiel in der vierthöchsten Liga zwischen dem Bahlinger Sportclub und Kickers Offenbach. Das Spiel beginnt um 14:00 Uhr. Es ist als Risikospiel eingestuft. Daher werden entsprechend viele Polizisten da sein. Die Bahlinger haben mit den Kickers und deren Vorstandschaft eine Rechnung offen. Das hört sich nicht gut an. Die Ultras der Kickers werden in den Käfig gesteckt und dort werden sie ordentlich Radau machen. Manches will man lieber nicht hören. Ich gehe trotzdem hin. Zu diesem Fußballspiel und in die aufgeheizte Stimmung. Seit vergangener Woche allerdings frage ich mich: Als wer gehe ich dahin? Als Privatmann Ewald Förschler? Als Pfarrer? Als Ehemann? Als Vater und Opa? In Bahlingen bin ich bekannt wie ein bunter Hund. Mein Großvater Adolf Zügel und seine Frau Frieda, geborene Adler wohnten unweit des Stadions. Und ausgerechnet mein Großvater war es, der mit vier anderen Männern, darunter auch der Pfarrer vom Nachbarort Eichstetten, 1929 den Bahlinger Sportclub gegründet hat. ich könnte also sagen: Macht, was ihr wollt. Grölt rum, beleidigt euch, beschimpft den Schiedsrichter! Mich erkennt keiner. Ich denke, ich könnte eine Mütze aufziehen und eine Sonnenbrille aufsetzen und mich so an den Spielrand stellen. Doch, das weiß ich, es ginge nicht lange, dann würde irgendjemand, den ich nicht kenne, mich von der Seite anstoßen und sagen: Sie sind doch der Herr Förschler? Das war´s dann auch schon mit der Tarnung.

Schon im Vorfeld macht das Spiel was mit mir. Ich denke über mich nach. Ich versuche, meine Rolle zu klären. Ich will wissen, als wer ich dort bin. Seit vergangener Woche mehr denn je. Denn wir hatten einen hochinteressanten Gesprächsabend zu zwei Elementen, ohne die wir nicht leben können: Licht und Salz. Sol et sal meinte schon Quintus Plinius im 1. Jahrhundert nach Christus seien die wichtigsten Dinge im ganzen Leben. Das Licht ist das erste Schöpfungswerk und das Geschöpf Mensch geht ohne Salzzufuhr binnen Wochen elend zugrunde. Jesus hat also die Grundlagen des Lebens aufgegriffen, wenn er seine Anhängerschaft mit diesen vergleicht und ihnen sagt: Ihr seid das Licht der Welt. Ihr seid das Salz der Erde. Das ist ganz weit gedacht. Das ist ganz groß gedacht. Größer und weiter geht es nicht. Der für die Welt auf die Erde kam will, dass wir Licht und Salz sind. Ich sag´s mal so: Bist du ein Jesusgläubiger, dann hast du keine Wahl. Du bist Licht und Salz. Du kannst dich nicht verbergen mit einer Schirmmütze und Sonnenbrille. Jesus will, dass wir öffentlich wirken. Jesusgläubige sind keine Angsthasen und verstecken sich nicht. Und sie sind nicht brav und schon gar keine grauen Mäuse. Jesusgläubige sind angenehm auffällig und anfällig für alles, was dem Hellen und Würzigen zuwiderläuft. Jesusgläubige sind wach und helle. Sie lassen sich kein X für ein U vormachen. Jesus begründet dies damit, dass die Menschen die guten Werke von uns sehen sollen und Gott dafür loben.

Von dem, was einer Gemeinschaft guttut und für das Zusammenleben unerlässlich ist, haben wir vorhin in der Lesung aus dem Buch Leviticus gehört. Das war an der Zeit, dass dieses ach so wichtige Buch mal mit einer Lesung in einem Gottesdienst gewürdigt wird. Denn ein gutes Zusammenleben braucht gute Werke. Es wurden in Leviticus genannt: Vater und Mutter ehren (das ist ein Gebot an erwachsene Kinder und nicht für Kinder, die gehorsam sein sollen), das bewirkt, dass die Alten in der Gesellschaft versorgt werden / Feiertage einhalten / den Nächsten nicht unterdrücken noch ihm was wegnehmen / der Tagelöhner soll nach getaner Arbeit abends entlohnt werden und nicht am Morgen danach / die Tauben können zwar nicht mehr hören. Das heißt aber nicht, dass man allen Blödsinn an sie hin schwätzen soll / die Blinden können zwar nichts sehen. Das heißt aber nicht, dass man Schabernack mit ihnen treiben soll / im Gerichtsverfahren soll es ehrlich zugehen / niemand soll bevorteilt werden, auch nicht der Arme und der Reiche soll nicht einfach so davonkommen / Niemand soll unter dem Volk einen anderen verunglimpfen / kein Hass / keine Rache / kein Zorn, der Unheil anrichtet / den Nächsten lieben wie sich selbst. Warum? Weil er auch nur ein Mensch ist wie ich und du / ein Fremder soll ungestört in der Gesellschaft leben können…Diese ethischen Grundsätze sind 2500 Jahre alt und nach wie vor hochaktuell.

Das alles und vieles Gute mehr steht im Buch Leviticus. Es ist das dritte Buch der fünf Bücher Mose und bildet damit die Mitte der Thora. Leviticus hat ein grundlegendes Anliegen, das zu bedenken der christlichen Gemeinde gut ansteht: die im Gottesdienst erlebte Heiligkeit Gottes soll sich im Alltag auswirken. Der erste Teil der Schrift regelt die Art und Weise, wie Gottesdienst gefeiert wird. Der zweite Teil regelt, wie man gut zusammenleben kann. Und beide Teile sind direkt aufeinander bezogen.

Dieses Buch hat im Judentum eine große Bedeutung. Es wird im Jahresverlauf vollständig in 10 Abschnitten in der Synagoge verlesen. Ihm liegt eine Erzähllinie zugrunde: Gott sucht sich Abraham aus. Er wird zum Vater des Volkes Gottes. Dieses Volk wird in Ägypten versklavt und von Gott befreit. Am Sinai erhält es die Thora für ein Leben in Freiheit. Und Gott bindet sich an dieses Volk für immer. Das heißt: diesem Handeln Gottes soll der Gottesdienst und das alltägliche Leben entsprechen. Da geht leider manches auch schief. Deshalb ist Leviticus die Versöhnung wichtig. Der Versöhnungstag, der jom kippur ist eine Einrichtung, die in Leviticus entfaltet wird. Und das lesen wir in direkter Linie zu Leben und Tod Jesu und zu Paulus, der schreibt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Im Übrigen: das hebräische Wort kiper=versöhnen wird zum ersten Mal verwendet, als sich Jakob und Esau nach vielen Jahrzehnten in die Arme fielen. Ein versöhntes Leben ist Leviticus wichtig.

Gute Werke sind Werke, die guttun. Wir haben sie eben aus Leviticus gehört. Jesus selbst brauchte sie nicht im Einzelnen beschreiben. Er kannte Leviticus, versteht sich. Doch er geht darüber hinaus. Weit darüber hinaus. Er sorgt für die Grundlage der guten Werke. Und verwendet das Bild vom Licht und vom Salz. Ein ganz feiner Unterschied ist entscheidend. In Leviticus werden die Menschen dazu aufgefordert, das Gute zu tun. Jesus geht einen Schritt zurück und sagt erst mal, wer die sind, die da Gutes tun. Sie sind Licht der Welt und Salz der Erde.

Und seit vergangener Woche bin ich ziemlich nachdenklich. Denn ich glaube, dass Jesus, als er das mit dem Licht und dem Salz sagte, seine Anhänger wachrütteln wollte. Er schickt sie erst einmal in die Vergangenheit. Schaut doch mal hin, wo ihr schon Licht und Salz wart. Mit dem Licht und dem Salz schickt ER uns auch auf eine innere Reise: mit dem Licht in unsere Schatten, mit dem Salz in alles Fade. So wird unser Inneres gereinigt. So geht es in erster Linie Jesus darum, dass wir sind, was ER von uns denkt. Es ist ganz allein seine Entscheidung, dass wir das sind. Deshalb wird auch niemand in einer Gemeinde, in einer Kirche oder Gemeinschaft sagen, er sei aus sich heraus das Licht oder das Salz.

Ich gehe nachher ins Stadion. Und ich weiß jetzt auch, als wer ich dorthin gehe. Ich habe es gehört und nehme es an. Ich für mich habe keine Wahl. Wenn auf meiner linken Hand „Licht“ steht, dann werde ich mich nicht an dumpfem Gerede und Geschimpfe beteiligen. Wenn auf meiner rechten Hand „Salz“ steht, dann werde ich nicht den Mund halten und ausfälligen Typen meine Meinung sagen oder ihre Gegenwart meiden. Ich hoffe jedoch, dass es nicht dazu kommt. Licht und Salz bin und bleibe ich trotzdem. ER will es ja so.

AMEN

3. Predigt am 12. Sonntag nach Trinitatis in Königschaffhausen / 18.8.2024

Grundlage: Evangelium nach Lukas 13,10-17

Liebe Gemeinde,

alles klar! Jesus macht alles richtig. Der Synagogenvorsteher liegt falsch. Alles klar! Wirklich? Schnell sind wir fertig mit dem, was uns über Jahre hinweg erzählt wurde. Die Glaubenstruhe steht vor uns. Jesus kommt in die oberste Schublade. Der Synagogenvorsteher in die unterste. Natürlich hören wir der Erzählung zu. Wie vorhin. Aber abgeschlossen haben wir mit der Geschichte doch schon längst. Gibt´s noch was, was uns möglicherweise überraschen könnte? Vielleicht die Hauptperson?

Die ist eine Frau. Wir kennen ihren Namen nicht, wie so oft in der Bibel. Wir erfahren aber ihre Krankheit. Sie läuft gekrümmt. Es wird auch erklärt, was sie krumm gemacht hat: ein krank machender Geist – und das seit 18 Jahren. Sie konnte sich nicht mehr aufrichten. Im Griechischen steht da panteles. Sie war völlig gekrümmt. Schlimmer geht´s nicht.

Ich wiederhole noch mal: eine Frau – chronisch krank – vollkommen gebeugt.

Ein hoffnungsloser Fall. Jeder Physiotherapeut käme bei ihr an seine Grenzen. Eine Psychotherapeutin würde überlegen, wo sie jetzt ansetzen soll. Vielleicht würde sie sie fragen: Was ist vor 18 Jahren passiert? Was hat dich mit den Jahren so krank gemacht? Ein Arzt würde ihr vielleicht Schmerzmittel verschreiben. Ein normaler Mensch sagt sich: Da ist nichts mehr zu machen. Das wird ihr bleiben bis zum Lebensende. Und böse Zungen behaupten sogar: Sie ist selber schuld! Und kennen natürlich den Grund. Und verbreiten übelriechende Gerüchte.

Die Frau: sie hat einen Endpunkt erreicht. Sie ist völlig krumm. Sie schaut nur noch nach unten. Sie sieht nur noch die Erde, die Steine, die Füße anderer Menschen, den Schatten der Sonne, die durchgetretenen Wege, den Schlamm nach einem Regenguss, die Abwässer und Abfälle der Gesunden. Das alles sieht sie und sagt nichts. Sie sagt gar nichts mehr. Kein Wort ist von ihr überliefert. Diese Frau ist die Krankheit. Diese Frau kennt man nicht anders. Doch einmal – früher – da war sie jung und schön. Hatte Träume, Hoffnungen, Sehnsüchte. Und dann ist etwas Böses in ihr Leben eingedrungen und hat sie krank und krumm gemacht.

In dieser Frau begegnet uns das Elend aller krank Gemachten, aller Gebeugten und Gekrümmten. Und es ist uns verwehrt, nach dem Grund zu fragen. Warum? Weil Jesus das auch nicht gemacht hat. Die Jesusnachfolge verbietet uns, kranke Menschen von ihrer Vergangenheit her zu sehen.

Eine Frau steht im Mittelpunkt. Sie war Teil der Gottesdienst- und Gebetsgemeinschaft in der Synagoge. Sie hatte ihren Stammplatz in der Synagoge. Sie wollte da sein, wo Gott war. Sie war gläubig. Es gibt gläubige Menschen, die gekrümmt sind und gebeugt. Irgendwas oder irgendwer hat ihnen zu viel aufgeladen. Das wirst du mit den Jahren nicht mehr los! Das drückt dich nieder. Das macht dich kaputt, was andere auf dich laden – draußen und hier drinnen. Das Wort der Freiheit jedenfalls macht das nicht. Und dieses dringt von ferner Zeit her an unsere Herzen: den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen und das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen. Dieses Wort aus dem Trostbuch Israels war Jesu Lebensprogramm. „Du darfst niemanden aufgeben. Auch keinen, der so fertig aussieht wie diese Frau. Niemals darfst du mit jemandem fertig sein.“

Jesus also: er legte die Thora aus. Am Sabbath. In einer Synagoge. Das heißt, dass er als Rabbi ernstgenommen wurde. Er durfte das. Er war befugt und befähigt, zur Gemeinde zu sprechen. Auch zu der kranken Frau. Sie hörte ihm zu. Nur dass er nicht predigte. Er lehrte. Martin Luther wollte das auch so, dass wir Pfarrer Lehrer der Gemeinde sind und ihre Hirten. Deshalb haben wir dieses schwarze Ding da an. Lehre dringt ins Leben, ins Innere eines Menschen. Es bewegt ihn. Eine lustige und unterhaltsame Predigt macht die Leute lachen. Aber bewirkt nichts. Es wäre besser, sie wäre nie gehalten worden. Der Glaube kommt aus der Predigt, die aufklärt und nicht aus Witzen, unterhaltsamen Passagen, Lautsprechern, Flipcharts und tönenden Bands. Jesus lehrte. Das heute ist demnach ein Lehrstück. Was Jesus lehrte wird nicht gesagt. Aber wir können es an zwei Reaktionen ablesen: an der der Frau und an der des Synagogenvorstehers. Die Frau war die Einzige in der Synagoge, die sich von Jesu Worten bewegen ließ. Die, die sich sonst verstecken musste, die eigentlich niemand mehr beachtete, rief Jesus zu sich. Stellt euch das jetzt mal vor: die Frau kommt raus aus ihrer Synagogennische, stolpert nach vorne, tritt einem anderen vielleicht noch auf die Füße, findet den Weg irgendwie und kommt vorne an. Kommt bei Jesus an! Und jetzt? Geschieht das, was noch nie geschah, dass nämlich Worten Taten folgten. Nicht nur von Heilung reden, sie auch machen. Nicht nur von Lösen sprechen, sondern es liebgewinnen. Nachfolge beginnt mit Losmachen. Eigentlich von allem. Wie sprach Jesus zu ihr? Er geht in die Knie. Seine Augen finden die ihren. Augenhöhe da unten. Stille. „Du bist los, was dich krank macht.“

Aufgepasst! Was wir als Heilung und Wunder verstehen, ist genau genommen nichts anderes als eine Tatsache. Jesus beschreibt etwas, was real ist. „Du bist los, was dich krank macht.“ Ich muss also nichts loswerden. Ich bin schon los, was mich binden will. Ich muss es mir immer wieder von Jesus sagen lassen: „Du bist los, was dich binden will.“ Das lehrte Jesus. Er lehrte die Menschen den Gnadenweg Gottes: dass Gott den Regenbogen erfand, also nicht mehr vernichten will; dass er sein Volk befreit hat aus der Sklaverei, also Freiheit will; dass er seinem gedemütigten Volk ausrichten ließ: es ist vergeben! Dass sein Lebensgeist über das Totenfeld schwebt und Menschen lebendigt macht, dass er also das Leben will. Jesus ließ den göttlichen Lebensweg aufleuchten und auf diesen hat er die Frau zurückgeholt. „Du kannst aufrecht durchs Leben gehen. Erhobenen Hauptes. Mit klarem Blick. Du bist los, was dir den Rücken krumm macht.“

Hartherzig kommt die Reaktion des Chefs der Synagoge rüber. Er ist verantwortlich für den ordnungsgemäßen Ablauf des Gottesdienstes. Da gibt es Regeln. Die muss man einhalten. Da kann man nicht einfach so was über den Haufen werfen. Wie´s schon in der Bibel steht: 6 Tage arbeiten. Und Heilen ist Arbeit. Also bitte schön nicht am heiligen Sabbath, sondern an einem der sechs anderen Tage. Der Gottesdienst soll in der uns gewohnten Form und Weise gefeiert werden. Nichts und niemand soll unsere Andacht stören! Deshalb platzte ihm auch der Kragen. So ein Vorsteher in Synagoge und Kirche kann die Menschen krumm predigen mit seinen Ordnungsrufen und seiner frommen Strenge!

Jesus war nicht gegen Ordnung. Aber die Doppelzüngigkeit der frommen Ordnungshüter ging ihm auf den Keks. Auf die Heiligkeit des Sabbath hinweisen und der Frau die Heilung streitig machen und selbst das Sabbatgebot zum eigenen Nutzen auslegen. Schämt euch!

Die anderen, hier das Volk, freuen sich über Jesus. Es heißt: über alle herrlichen Taten, die er tat. Und die Menschen lehren, dass es einen gnädigen Gott gibt, ist eine herrliche Tat. AMEN

4. Traueransprache Günter Adler am 16. August 2024

Es sind die Kinder. Wer denn sonst? Wir sind nicht die Ersten, die das erkennen und sich eingestehen. ER hatte es gewusst und in die Herzen der Menschheit gepredigt: den Kindern gehört das Reich Gottes. Es sind die Kinder. Sie sind es. Richtig. Als wir zusammensaßen, liebe Angehörige, da stand plötzlich ein Satz im Raum. Eine Enkelin hat ihn gesagt, als ihre Mutter sie mit den Worten tröstete, dass der Opa jetzt im Himmel sei. Sie dachte nach und sagte dann: „Er weiß doch nicht, wo der Himmel ist.“ Ich habe mir diesen Satz aufgeschrieben, weil ich ihn in dieser Ehrlichkeit und Unmittelbarkeit so noch nicht gehört habe. „Er weiß doch nicht, wo der Himmel ist.“ Wenn jemand weiß, wo der Himmel ist, dann ein Kind. Und wenn ein Kind so einen Satz sagt, dann ist der Himmel da. Denn ein Kind fühlt mit. Es will, dass es dem anderen gut geht. Es ist ehrlich und sagt, was die Erwachsenen mit ihrem Verstand wegfiltern. „Er weiß doch nicht, wo der Himmel ist.“ Ok. Dann suchen wir ihn, den Himmel. Wir machen uns auf den Weg. Denn er ist ja da, nur noch nicht hier. Als der junge Günter Adler hier in dieser Kirche von Pfarrer Bender konfirmiert wurde, hat er ein Wort zugesprochen bekommen, das wir vorhin im Psalm 37 miteinander gesprochen haben: „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn; er wird´s wohl machen.“ Da wusste Günter Adler noch nicht, welche Wege er in seinem Leben gehen würde; welche er wählen würde und welcher er gehen musste. Im Rückblick auf sein Leben sehen wir sie. Das Lebenswort, das auf einer Urkunde geschrieben über seinem Bett hing, enthält einen zu Herzen gehenden Trost. Er drückt sich in diesem einen Wort aus, das eher überholt anmutet: „Anbefehlen.“ – Hergeben – Übergeben – Weggeben – in die Hände legen. Der Raum, der sich da auftut, ist voller Himmel. Er will, dass wir es uns nicht zu schwer machen. Er will, dass wir es dem Leiden, diesem ungebetenen Gast in unserem Leben, nicht zu leicht machen. Der Himmel will uns tragen. Dafür müssen wir uns ihm übergeben. „Mach du das Beste für mich!“

Das scheint mir eine Spur gnädiger zu sein als das, was wir „Loslassen“ nennen. Das tut sich ja als Thema auf, wenn man einen Verstorbenen betrauert. „Wir müssen ihn jetzt loslassen.“ Ja schon! Ich würde gerne fragen: Was verbindet uns mit ihm? Es verbindet uns Lebende mit ihm, dass wir uns dem Himmel überlassen. Wir gehören alle einem Größeren – ob wir leben oder sterben und im Grab ruhen. Wir gehören IHM. Der Himmel weiß doch, wo wir sind und wer wir sind. Er hat doch diese einladenden ausgebreiteten Arme. Und deshalb sollten wir uns nicht auf das Diesseits vertrösten lassen. Denn das Jenseitige, der Himmel, ist da im Diesseits. Und es ist größer und trägt hinein ins Ewige. Das glauben wir auch für Günter Adler, den liebevollen, guten Vater, Ehemann, Opa und Schwiegervater; der alles für seine Lieben gemacht hat; der gesellig war und den nichts aus der Ruhe bringen konnte; der gerne die Leute unterhalten hat – auch mit seinen langen Witzen; der zuhören konnte, was sehr an ihm geschätzt wurde; der gerne unter Menschen war; man kam ja leicht ins Gespräch mit ihm; und auf den man sich unbedingt verlassen konnte.

Zwei Enkeltöchter hatte Günter Adler. Die dritte war unterwegs. Ein Weg hat ein Ziel. Da gab es dann diese Begegnung. Die neugeborene Marie durfte Günter Adler noch sehen und ihren Kopf und ihre Hände streicheln. Ein Letztes wird zum Wichtigsten. Ein stilles Begegnen. Und wir glauben: Anfang und Ende liegen in Gottes Händen. Das geht uns zu Herzen und jetzt wissen wir, wo der Himmel ist. Mitten unter uns. AMEN

5. Predigt am Israelsonntag 4.8.2024 in Weisweil 

Grundlage: 5. Mose 30,1-10

Liebe Gemeinde,

Nicht vergessen! ist ein Kernsatz des jüdischen Volkes. Damit man nicht vergisst, muss man sich erinnern. Und damit man sich erinnert, muss man sich die Geschichte und die Geschichten erzählen. Deshalb ist das Judentum eine Erzählgemeinschaft. Wenn die Familie abends beim Pessach zu Tisch sitzt, beginnt das Erinnern. Das jüngste Familienmitglied darf eine Frage stellen. Diese Frage lautet: Was unterscheidet diese Nacht von den anderen Nächten des Jahres? Und dann erzählt man sich, was diese Nacht von den anderen Nächten des Jahres unterscheidet. Der Unterschied ist gewaltig. Denn in dieser Nacht ist Entscheidendes passiert: das Volk Israel wurde von seinem Gott aus der Sklaverei befreit. Es floh nachts aus Ägypten, durchquerte das Meer trockenen Fußes und kam in Sicherheit. Diese Geschichte von der Befreiung erzählt man sich jedes Jahr und immer wieder. Vergessen kann man sie dann nicht mehr. Sie geht einem in Fleisch und Blut über. Und damit gehören zwei weitere Schwergewichte zum Wesen des jüdischen Volkes: die Hoffnung und die Sehnsucht.

Die Hoffnung ist das Einzige, was einem unterdrückten Menschen bleibt. Sie ist eine Kraft, die ihn in seinem Inneren seinem Unterdrücker überlegen macht. Weil Menschen Systeme erschaffen, die andere Menschen unterdrücken und für sich schuften lassen – auch Kinder, lebt die Hoffnung auf Befreiung. Die Hoffnung ist die Widerstandskraft gegen jede Art von Unterdrückung und Ausbeutung. Die Hoffnung ist der Trotz der Menschen, denen ihre Rechte und ihre Würde genommen wurde.

Von dieser Hoffnung, die dem jüdischen Volk so eigen ist, haben wir vorhin in der Lesung aus dem 5. Buch Mose gehört. Mose hat mit den Worten das Volk angesprochen: Der Herr, dein Gott, wird deine Gefangenschaft wenden. Die Hoffnung ist also mit Gott verbunden. Sie gründet sich ganz auf ihn. Er ist der Befreier. Er kann die Herzen von Menschen bewegen. Zur Hoffnung gehört also die Gottesbeziehung als Kraftquelle. Sie macht aus, dass das Volk seinen Gott liebt von ganzem Herzen und von ganzer Seele. Ziel? Damit du am Leben bleibst. Also: Gott lieben ist stärker als jeder Tod.

Davon können und sollen wir lernen für unsere Gottesbeziehung. Der Gott der Liebe will nichts anderes als unsere Liebe. Ihn zu lieben ist unsere bescheidene Resonanz auf seine Liebe zu uns. Seine Liebe zu uns ist grundlos. Er liebt, weil er liebt. Gott kann nur lieben und dass er das tut ohne Zeitlimit ergründen wir nicht. Es geht hier also gar nicht um eine religiöse Leistungsschau. Es geht hier einzig um eine Liebesbeziehung. Die wünscht man sich doch, oder? Hier ist sie möglich.

Und als zweites die Sehnsucht. Menschen, die ohne Rechte sind und für andere schuften müssen, haben eine tiefe Sehnsucht. Sie möchten nicht nur frei sein. Sie möchten zur Ruhe kommen. Am besten auf einem schönen Fleckchen Erde. Ein Dach über dem Kopf mindestens, ein Gärtchen, ein Stück Land, auf dem Gemüse wächst und ein Rasen, den man mähen kann, auf dem die Kinder spielen. Keine Romantik! Sehnsucht. Auch sie spricht Mose in seinen Worten an das Volk an: Gott wird dich sammeln und dich in das Land bringen, das deinen Vätern gehört hat. Sehnsucht. Ein Land, in dem man zur Ruhe kommt. Ein Land, in dem man in Frieden leben kann, wo Milch und Honig fließen. Was für ein Sehnsuchtsbild!

So entspringen also dem „Nicht vergessen!“ die Hoffnung und die Sehnsucht. Und wenn wir schon dabei sind. Das Gegenteil von Hoffnung wäre dann Unterdrückung und das Gegenteil von Sehnsucht wäre dann Heimatlosigkeit.

Nicht vergessen! war auch das Thema der vergangenen Woche. Am 1. August erinnerte sich die Welt an den Aufstand der Polen gegen die Besatzung durch die Nazis in Warschau. Am 2. August erinnerte sich die Welt an 400.000 im KZ Auschwitz ermordete Sinti und Roma. Lange war dieses Verbrechen vergessen. Das war vor 80 Jahren. Und immer wieder ist da der Genozid am jüdischen Volk durch die Nazis präsent. Wahnsinn! Erinnert man das, dann wird einem die Einmaligkeit dieser „Endlösung“ deutlich. Denn es ging darin ja nicht nur ums Töten. Es ging auch nicht ums Vernichten. Es ging ums Auslöschen, so als hätte es das Volk der Juden nie gegeben. Das war das Ziel, nichts anderes.

Die Welt kann sich beim jüdischen Volk für seine kulturellen Errungenschaften bedanken: Levi Strauss, Leopold Ullstein, Sigmund Freud, Heinrich Hertz, Benjamin Löwenthal (Erfinder der Bockwurst), Alfred Adler (Individualpsychologie), Hugo von Hoffmannsthal, Marie Baum (Wegbereiterin der Sozialen Arbeit), Ruth Cohn, André Citroen, Albert Einstein, Robert Oppenheimer, René Lacoste und wie liebe ich die Musik von Mendelssohn-Bartholdy. Es gibt also überhaupt keinen Grund für Antisemitismus. Wenn es ihn gibt, dann nur aus einem tiefsitzenden Neid heraus. Neid kennt keinen Dank!

Die Welt tut sich schwer mit dem „Jüdischen“. Es ist dieses Merken und Sehen einer verkehrten Welt. Einer Welt, die nicht in Ordnung ist.

Der jüdische Blick auf das Weltgeschehen kommt aus der Geschichte des jüdischen Volkes. Die Hoffnung stellt die Menschen ins Licht, die Mächtige und nimmersatte Reiche unterdrücken und ausbeuten. Die Hoffnung nimmt sie ihnen weg – für immer. Die Hoffnung will den freien Menschen. Die Sehnsucht stellt die Menschen ins Licht, denen ihr Land entrissen wird, die vertrieben werden oder keine Ruhe finden dürfen auf diese Planeten. Das liegt natürlich auch im Interesse derer, sie als billige Arbeitskräfte ausbeuten. Der jüdische Blick ist also der in die Schattenseiten dieser Welt. Ein Jude war es, Jesus, der der Hoffnung und der Sehnsucht seines Volkes eine Heimat gab in seinem Reich Gottes. Und die, die das ernst nehmen, nannte er Licht der Welt und Salz der Erde.

Das, was mal das Christentum wurde, ist nicht zu denken und nicht zu verstehen ohne das Judentum. Manche sagen sogar, das Christentum sei eine Variante des Judentums. Und Jesus, liebe Gemeinde, war nicht der erste Christ. Das ist leider ein grobes Missverständnis. Jesus war Jude. Und gekreuzigt hat ihn Pontius Pilatus, ein Günstling des römischen Machtapparats. Einer, der mit allen Abwassern gewaschen war. Er machte mit Jesus kurzen Prozess zwischen Aufstehen und Frühstück. Nicht mal 15 Minuten.

Nicht vergessen und erinnern. Die Hochglanzseiten dieser Welt können aus jüdisch-christlicher Sicht nicht beeindrucken. Unser Blick geht durch sie hindurch, dorthin wo Menschen und die ganze Schöpfung Hoffnung auf ein freies Leben brauchen und die Sehnsucht auf ein Stückchen Erde, wo man zur Ruhe kommen kann.

So gesehen ist das Jüdische etwas zutiefst Menschliches. Dass Judentum und Christentum unlöslich zusammengehören, ist nicht zu bestreiten. Davon unterscheiden möchte ich den kritischen Blick auf eine Regierung des Staates Israel.

Wer die Regierung Israels kritisiert ist kein Antisemit. Doch für überzeugte Christen muss dabei immer mitschwingen: das, was eine Regierung in Israel tut, speist sich aus Quellen der Geschichte dieses einmaligen Volkes: die Hoffnung auf Freiheit und die Sehnsucht nach einem Bleiben im Land.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. AMEN

6. Trauerfeier Anja Baer am Freitag, den 26.7.2024 in Endingen

Video 1 – Nessaja, Peter Maffay / Anja Jugend bis Frau

Votum: Da ist eine Liebe, die grundlos liebt. Da ist eine Liebe, die Wunden heilt. Da ist eine Liebe, die unter die Arme greift. In dieser Liebe sind wir hier zusammen im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geist. AMEN

Gruß: Die Liebe Gottes sei mit euch – und mit deinem Geiste.

Einleitung: Umhüllt von dieser Liebe haben wir uns hier eingefunden, um uns an Anja Baer zu erinnern und von ihr Abschied zu nehmen. „Irgendwo tief in mir bin ich ein Kind geblieben“ – hörten wir zu Beginn von Peter Maffay. Das gilt es aufzusuchen, damit man ihm begegnen kann. Das Kind erinnert uns daran, dass wir Menschen sind. Gewollt, bedürftig und geliebt. Der Meeresgrund steht für das Bewahrt sein des Kindes, aber auch des oft weiten Weges hinab zu ihm, wo nichts stört und heilende Begegnung stattfinden kann.

Von Anbeginn der Welt sind wir von Gott gewollte und geliebte Wesen. Daran erinnert uns der Psalm 139. Ich bitte euch, den eingerückten Text zu lesen.

Psalm 139

Gott, du erforschst mich und kennst mich. Ich setze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne.

Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du nicht schon wüsstest.

Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar. Ich kann sie nicht begreifen.

Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.

Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.

Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleib. Ich danke dafür, dass ich wunderbar gemacht bin. Wunderbar sind deine Werke. Das erkennt meine Seele.

Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war. Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz.

Gebet: So soll und darf es jetzt sein. Menschen dürfen wir jetzt sein vor dir, Gott. Menschen, denen das Herz schwer ist, weil sie den Tod von Anja verschmerzen müssen. Tränen fließen, Erinnerungen sprudeln. Menschen dürfen wir jetzt sein, die nach innerem Halt suchen und sich nach Frieden sehnen. Menschen, die sich in die Arme fallen, weil das Fallen lassen und Gehalten werden jetzt so wichtig sind. Wie bei Kindern, die geborgen sein wollen. So sei du jetzt unter uns mit deiner heilenden Gegenwart und begleite mit deinem Segen den Weg, den wir miteinander gehen. Durch Christus, unseren Herrn. AMEN

Video 2 – Mein Leben, Nena / Anja Familie

Anmoderation Freunde: Nena hat die Wahrheit gesungen. Wahrheit ist immer persönliche Wahrheit. Sie ist nicht zu bestreiten. Wer die Wahrheit singt, ist ehrlich. Ehrlich! Ich glaube es ihr. Das Leben ist oftmals ein Hin und Her zwischen starken Gefühlen, zwischen Weinen und Lachen, zwischen Ausprobieren und wieder Aufstehen, zwischen Himmel und Erde, Dunkel und Licht, zwischen Freiheit und Grenzerfahrung. Und mittendrin dieses Merken. Es ist gar ein Staunen: Ohne dich will ich nicht leben. Ich komme immer wieder zu dir zurück. Weil es Menschen gibt, die mir und meinem Leben freundlich gesonnen sind. Sie sollen jetzt zu Wort kommen. Zunächst Ingo Fuchs, dann die Narrenzunft. Dann gehen wir an den Bodensee, wo das Segelschiff Moana liegt, das Anja und Udo so viel bedeutet hat. Und dazu hören wir auf Worte von Franz-Josef.

Info Fuchs – Narrenzunft, Franz-Josef/Video 3 Sailing

Ansprache

Du hast es mir erzählt, Udo, was da geschehen ist in deinem Leben mit Anja. Es war alles geplant. Und dann kam es anders. Dieses andere war euch fremd. Wir nennen es Leiden. Es kam unangemeldet. Es war plötzlich da und ihr konntet es nicht einfach wegschicken. Es blieb. Es hat euch beide auf einen Weg mitgenommen, der neu war. Anders. Fremd. Hat eure Pläne durchkreuzt. Und du, Udo, hast diesen Weg angenommen und deine Anja begleitet, gepflegt, an ihrer Seite gewacht, alles unternommen gegen diese Krankheit, Hoffnungen auf Besserung, gar Heilung gehegt und gepflegt. Sie sind verwelkt. Ihr habt in dieser Phase euer Leben anders gestaltet. Und habt euch auf eine andere Weise kennengelernt. Sätze sind gefallen, die aus dem inneren eurer Seelen kamen. Wenn Anja sagen konnte: „Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr.“ Und du dir eingestandst: „Ich will nach Hause zu Anja.“ Liebe kann so viel – gerade im Leid. Leicht ist es nicht. War es nicht.

Anjas Motto „Das Leben braucht schöne Seiten“ hat mich von Anfang an beeindruckt. Anja hat viele Seiten, die andere brauchten, kreativ unschlagbar und einfühlsam gestaltet. Sie hat Seiten aufgeschlagen, die wertvoll wurden, weil sie überraschten. Diese Seiten werden für uns jetzt noch wertvoller mit bleibendem Wert. Keine Frage. So hat Anja auch die Seiten ihres Lebensbuches ausgefüllt. Wir haben heute ein Teil davon miterleben dürfen. Das Leid hat mit seiner Handschrift die letzte Seite ihres Buches geschrieben. Ungefragt. Ungewollt. Ungebeten. Eine Zumutung. Dieses Fremde, das wir Leid nennen. Das keiner kennt. Von dem keiner sagen kann und darf, woher es kommt. Das Leid provoziert in uns eine Auflehnung. Am liebsten würden wir ihm ins Gesicht schreien: „Wir brauchen dich nicht. Was willst du?“ In dieser Auseinandersetzung mit ihm beginnt der Weg mit ihm. Es reicht, wenn es da ist. Unerklärbar. Und wir dürfen es ihm nicht leicht machen. Und wir sollten es uns mit ihm nicht schwer machen. Es reicht, dass es da ist. Denn es führt uns an den Rand unserer Kräfte und unseres Glaubens. Kräfte wachsen und schwinden. Der Glaube mag alsbald verstummen. Es kann ihm da nicht gutgehen. Und wer will jetzt einen Gott verteidigen, von dem manche glauben, er schicke das Leid, um unseren Glauben zu testen? Das ist abwegig. Das ist zynisch. Das macht keinen Sinn. Leid ist nicht erklärbar. Mit gar nichts. Schon gar nicht mit überbordender Gefühlskälte. Anders. Den Blick gewandt. Das Herz geöffnet. Unser Leid hat eine Resonanz im Leiden des Gekreuzigten. Erhöht nimmt er auf sich, was ihm nicht erklärbar war. Wie uns auch. Seine letzten Worte geben unseren Worten eine Heimat. Und deshalb dürfen nur die, die das Leid getroffen hat, ihre Klage in Worte fassen: Warum? Wie lange noch? Denn das Leiden hat einen Charakter des Unschuldig seins. Es ist immer ungerecht. Deshalb war der Gekreuzigte zu Lebzeiten an der Seite der Leidenden. Deshalb ist er den Elenden seiner Zeit nicht von der Seite gewichen. Deshalb hat die Kranken nicht weggeschickt und sie in seinen Heilraum eingeladen.

Die Klage ist die Antwort der Getroffenen auf das Leid. Sie ist unter uns. In jedem Herzen. Die Klage sind wir. Zurecht. Sie gibt unserem Schmerz einen Laut. Unüberhörbar. Leise vielleicht. Das ist gut so. Es geht ja auch weiter. Anders. Als ich im Juni auf einer Fähre war und sie aufs offene Meer hinausglitt, überraschte mich ein Gedanke: Sterben ist, wie in einem Schiff geborgen, vom Festland des Lebens ablegen einem neuen Ziel entgegen. Und dort willkommen geheißen werden und für immer bleiben. Und wir bleiben zurück und rufen ihnen zu: „Ihr dürft gehen!“ Und hoffen unverzagt: „Wir sehen uns!“

Abschiedsritual

Wir nehmen Abschied von Anja Baer. Wir denken daran, was sie uns bedeutet hat und bedenken:

  • Wofür wir zu danken haben
  • Was schwer geworden ist
  • Was zu vergeben ist
  • Was wir bewahren möchten

So lasst uns in Frieden Abschied nehmen.

Beisetzung: Die Beisetzung der Asche von Anja findet nach dieser Trauerfeier im engen familiären Rahmen statt. Wer sich von den engen Freunden berufen fühlt mitzugehen möge sich bitte im Hintergrund halten. Danke!

Zusammensein: Anja hat es immer gefallen ihre Freunde und Bekannten als Gäste im roten Holzhaus zu haben. Deshalb auch jetzt die herzliche Einladung an alle Freunde, zu Anjas Heim zu gehen für Gespräche und Begegnung.

Als würde die Liebe selbst sprechen. So hört sich der Song von Annie Lennox an, den wir zum Abschluss hören:

Lege deinen lieblichen und erschöpften Kopf nieder. Die Nacht bricht herein. Du bist am Ende deiner Reise angekommen. Warum weinst du? Was haben diese Tränen auf deinem Gesicht zu bedeuten? Schon bald wirst du erkennen, dass alle deine Ängste verfliegen werden. Sicher in meinen Armen wirst du einfach nur schlafen. Jenseits des Meeres geht ein blasser Mond auf. Die Schiffe sind gekommen, um dich nach Hause zu bringen…

Video 4 – Into the West – Annie Lennox, Sonnenuntergang

7. Predigt am 6. Sonntag nach Trinitatis (7.7.24 Tauferinnerung) in Melanchthon

Grundlage: Apostelgeschichte 8,26-39

Liebe Gemeinde,

Philippus trifft einen Afrikaner. Warum? Weil Gott es so wollte. Weil er die Weichen stellt, wann er es für richtig hält. Weil er allein es ist, der den Plan hat und die Initiative ergreift.

Wie an jenem Tag, als ein Afrikaner auf dem Rückweg war auf jener Handelsstraße, die Jerusalem mit Ägypten verband. Er war aus Äthiopien. Es hatte ihn nach Jerusalem an den Tempel gezogen. Er wollte dort zu Gott beten. Warum nimmt er einen weiten und beschwerlichen Weg auf sich? Weil ihm nicht reichte, was er wusste und weil ihm nicht reichte, was er glaubte. Was wissen wir von ihm?

Er gehörte zum Volk der Äthiopier, das damals in der Gegend des heutigen Sudan lebte, also in unmittelbarer Nachbarschaft von Ägypten. Er war Finanzminister der äthiopischen Königin. Die Frauen, die in Äthiopien regierten, nannte man Kandake wie man die Herrscher in Ägypten Pharao nannte. Er, dessen Name wir nicht kennen, war eine hochgestellte Persönlichkeit am Hof der Königin von Äthiopien. Er konnte sich eine Wallfahrt nach Jerusalem leisten. Der angesehene und mächtige Afrikaner war auf der Rückreise seiner Wallfahrt. Er war unterwegs auf der bekannten Reiseroute von Jerusalem nach Gaza, das 80 Kilometer südwestlich von Jerusalem am Mittelmeer liegt. Dass diese Route einsam sein soll, ist eher unwahrscheinlich, weil sie die einzige Verbindung nach Ägypten war. Der Begriff „einsam oder öde“ deutet darauf hin, dass er zu einer Tageszeit auf der Rückreise war, in der nicht viel los war. Er hatte sich in Jerusalem eine Rolle des Jesaja gekauft. Das konnte er sich leisten. Dass er darin las, beweist nicht nur, dass er gebildet, sondern dass er des Hebräischen mächtig war. Er war ein sog. Gottesfürchtiger. Er glaubte an den Gott Israels und hielt bestimmte jüdische Gesetze ein. Doch er war kein vollwertiges Mitglied des jüdischen Volkes. Als hochgestellter Mann am Hof der Königin war er Eunuch.

Der Begriff Eunuch, wie er auch in der heutigen Erzählung steht, bezeichnet beides: die hohe Stellung als Finanzminister und die Tatsache, dass er ein Entmannter war. Zu hohem Ansehen und mächtigen Stellungen an königlichen und kaiserlichen Höfen konnten Männer als Eunuchen kommen, weil sie nicht als „biologische“ Rivalen in Betracht kamen. Was in so ziemlich allen Religionen der damaligen Welt vor und nach Christus üblich war, war im Judentum und damit auch im Christentum verboten. So heißt es im 5. Buch Mose 23,2: Kein Entmannter oder Verschnittener soll in die Gemeinde des Herrn aufgenommen werden. Ein jüdischer Jesusgläubiger, Philippus, trifft einen unbekannten Afrikaner. Warum?

Weil Gott es so wollte. Weil er den Plan hat und weil er die Initiative ergreift. Das kann nur Gott. Ein alle damalige Konventionen übersteigendes Ereignis kann sich nur Gott ausdenken. Was sollen wir verstehen lernen?

Gott überwindet Grenzen.

Da ist die Zugehörigkeit zum Volk. Philippus, auch als Jesusgläubiger, war Mitglied des jüdischen Volkes. Doch ihm war der Blick geweitet. Der Geist Gottes treibt ihn an, treibt ihn voran. In Philippus begegnet uns eine Absicht Gottes: Grenzen überschreiten, die Menschen gesetzt haben und immer wieder mal hochhalten, weil sie meinen, besser sein zu wollen als andere. Grenzen, die sie dicht machen, weil sie unter sich bleiben wollen. Grenzen lässt Menschen sagen: wir hier und die da draußen.

 Gott will Begegnung.

Der Afrikaner liest laut aus der Rolle des Jesaja. Laut lesen war damals üblich. Deshalb wusste Philippus, was er las. Doch jener verstand es nicht. Erst dadurch, dass sich Philippus für ihn interessierte, entstand ein verstehendes Miteinander. Heißt: Wir brauchen einander. Wir brauchen das Gespräch miteinander. Wir brauchen die Begegnung. Wir brauchen den gemeinsamen Weg. Gottes Geist weist sie zum anderen, zum Fremden. Wie könnte es – nach dem, was wir heute hören – für einen Christen oder eine Christin einen Fremden geben können? Bei Gott wiegen die Gewichte nicht, auf die leider manchmal auch Christen großen Wert legen: Welchem Volk gehöre ich an? In welchem Ort lebe ich? Es ist gut für uns, wenn wir sagen können: die anderen gehören zu uns.

Gott schafft die Orte.

Wo Begegnung stattfindet, wo Interesse am anderen gelebt wird, denkt Gott einen Schritt voraus. Philippus und der unbekannte Afrikaner wissen nicht, was Gott vorhat: er will sie erleben lassen, dass sie zusammengehören. So führt er sie an ein Wasser. Da geschieht das, was seit damals Menschen weltweit verbinden wird, was alle Familien- und Volkszugehörigkeit übersteigt. Ein Mensch kann sagen: Ich glaube von ganzem Herzen an Jesus Christus. Und er empfängt die Heilige Taufe. So wurde dieser unbekannte Afrikaner der erste Jesusgläubige weltweit, der aus dem Volk der Heiden stammte. Auf ihn geht das Christentum in Afrika zurück. Auf Philippus geht die Gründung der Gemeinden in Lydda, Joppe und Cäsarea zurück.

Gott will Wunden heilen.

Ich glaube, es ist noch mehr passiert. Es ist auch passiert, dass Gott eine Wunde heilen wollte. Sie war nicht zu sehen. Doch in der Seele dieses mächtigen Mannes aus Afrika hat sie geblutet. Er wollte zum Volk der Juden gehören. Doch sein körperlicher Makel machte ihm das unmöglich. Im Glauben an Jesus und durch die Heilige Taufe wurde diese Wunde geheilt: Er wusste, dass er jetzt zu denen gehörte, die – wie er – getauft waren und die an Jesus glauben. Und damit ist klar: in der Kirche gilt – Wasser ist dicker als Blut.

Fröhlich zog er seine Straße. Zurück nach Afrika wie wir nachher zurückgehen in unsere Häuser gehen. Hinein in die Freude darüber, dass wir zueinander gehören – verbunden über alle Grenzen hinweg. Fröhlich war der Äthiopier darüber, dass sein Name im Himmel geschrieben ist und er an einen glauben kann, der den Tod überwunden hat. Er hatte bekommen, was er tief in seinem Herzen ersehnte: das ewige Leben. Das Leben mit dem Ewigen, dem Auferstandenen. 

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

AMEN

8. Predigt zu Johanni (24.6.24) am 30.6.24 in Königschaffhausen

Liebe Gemeinde,

Johannes der Täufer. Wir kennen ihn als den, der Menschen getauft hat. So kennen wir ihn auch als den, der Jesus getauft hat. Aber kennen wir Johannes wirklich? Sein Name leitet sich her vom Hebräischen Jochanan. Das heißt auf Deutsch „Gott ist gnädig“ oder „Gott hat Gnade erwiesen“. Der 24. Juni ist der Geburtstag Johannes des Täufers. Neben ihm erinnern wir uns nur noch bei Jesus und seiner Mutter an deren Geburt. Ansonsten orientieren sich die Gedenktage immer am Sterbedatum. „Gott ist gnädig“. Dafür stand Johannes. Bedenken wir, dass der 24. Juni der längste Tag des Jahres ist und danach die Tage wieder kürzer werden, dann heißt das, dass Johannes in einer Wendezeit geboren ist. Das passt zu seinem Namen. Denn was bedeutet Gnade anderes als dass etwas gewendet wird? Gnade steht dafür, dass sich Leid in Freude, Abhängigkeit in Freiheit, Schuld in Vergebung, Reue in Neuanfang wenden. Gnade mutet dem Menschen zu, dass er sein Denken und damit auch sein Leben ändern kann. Die alten Geschichten sind abgelegt, die Papiere mit den offenen Rechnungen liegen längst im Papiercontainer. Gnade heißt, dass wir noch einmal davonkommen; dass wir nicht untergehen; dass wir eine Zukunft geschenkt bekommen; dass sich das Blatt noch einmal wenden kann; dass der Daumen nach oben geht. Gnade heißt, weiter leben zu dürfen. Aber das eben nicht als ein zufälliger Wink eines tauben Schicksals, sondern als ausdrücklicher Wille Gottes. „Ich will gnädig sein!“, sagt Gott auch heute zu jeder und jedem von uns. Dieses Zukunftsprogramm trug Johannes in seinem Namen. Dafür stand seine Taufe, die Taufe zur Umkehr hin zum gnädigen Gott. Dazu später noch ein Wort.

Namen sind wichtig. Namen sind nicht Schall und Rauch. Namen sind voller Klang und Bedeutung. Deshalb noch zwei Namen. Der Vater von Johannes hieß Zacharias. Auch dies ein hebräischer Name, der bedeutet: Gott hat sich erinnert. So heißt auch ein Prophetenbuch des Alten Testaments. Zacharias, der Vater des Johannes, war ein angesehener Priester zur Zeit des Herodes, König von Judäa. Er war ein Priester von der Ordnung Abija. Das war die 8. von insgesamt 24 Priestergruppen. Der andere Name ist der der Mutter von Johannes: Elisabeth. Auch dies ist ein hebräischer Name. Elischewa bedeutet: Gott schwört. Das Interessante beim Wort „schwören“ ist der Zahlenwert 7, also die Zahl der Vollkommenheit, deshalb kann man Elisabeth auch übersetzen mit „Gott ist vollkommen“. Elisabeth stammte aus dem Geschlecht des Aarons, der Bruder des Moses war. Beziehen wir die Bedeutung der drei Namen aufeinander, so haben wir eine erstaunliche Konstellation von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Zacharias steht für Erinnerung, also Vergangenheit. Elisabeth steht für die Vollkommenheit Gottes, also Gegenwart. Und Johannes steht für Gottes Gnade, also Zukunft. Ist das eigentlich noch zu überbieten? Ist die Zeit in ihren drei Dimensionen zu überbieten? Dies haben wir zu bedenken, wenn Johannes auf Jesus trifft. Das war allerdings nicht erst bei dessen Taufe, sondern viel früher, vor ihrer Geburt der Fall. Das Lukasevangelium berichtet, dass der gleiche Engel, der Maria die Geburt Jesu ankündigte, auch die Geburt des Johannes vorausgesagt hat. Er sagte zu seinem Vater Zacharias: „Fürchte dich nicht, denn dein Gebet ist erhört und deine Frau Elisabeth wird einen Sohn gebären und du sollst ihm den Namen Johannes geben.“

Und auch später, nachdem Maria unter ähnlichen Umständen die Geburt ihres Sohnes angekündigt bekam, geschieht etwas Bedeutsames: Die schwangere Maria besucht die schwangere Elisabeth und sie beschreibt, dass sich ihr Kind in ihrem Bauch bewegte, ja hüpfte, als Maria den Raum betrat. Und noch mehr: „Elisabeth wurde vom heiligen Geist erfüllt.“ Das klingt so, als hätten die beiden ungeborenen Kinder bereits gemerkt, dass eine Verbindung zwischen ihnen besteht. Was für ein Bild: Da stehen zwei Frauen voreinander. Die eine, Elisabeth, alt, die andere blutjung. Beide sind schwanger, beiden haben die Geburt eines Kindes von einem Engel vorhergesagt bekommen und beide merken, dass das keine gewöhnlichen Jungen sein werden, die da heranwachsen. Beide werden geboren. Erst Johannes, dann Jesus. Aus der Kindheit des Johannes erfahren wir nichts, während wir von Jesus die ausführliche Geburtserzählung haben und eine Begebenheit aus seinem 12. Lebensjahr. Von Johannes heißt es nur: „Das Kindlein wuchs und wurde stark im Geist. Und er war in der Wüste bis zu dem Tag, an dem er vor das Volk Israel treten sollte.“ In die Wüste würde auch Jesus gehen. Bei ihm heißt es, dass der Heilige Geist ihn dorthin führte. Und wir erfahren auch, was Jesus, bevor er in die Öffentlichkeit trat, in der Wüste in der Auseinandersetzung mit dem Satan erlebt hat. Von Johannes erfahren wir nichts dergleichen. Doch beiden – Johannes und Jesus – ist gleich, dass sie in der Wüste waren, bevor sie öffentlich auftraten. Doch ihr Auftrag war verschieden. Johannes wirkte bereits als Täufer und Prediger, als Jesus zu ihm kam und sich von ihm taufen ließ. Johannes taufte die Menschen und ermahnte sie, ihr Leben zu ändern und sich Gott zuzuwenden, zu teilen und den Hungrigen zu essen zu geben. Er warnte sie auch vor Glaubenssicherheit. Damit reiht sich Johannes in die Linie der Propheten des Alten Testaments ein, denen beides wichtig war: dass die Menschen ihr Leben am Willen Gottes ausrichten und dass Gott ein gnädiger Gott ist, der will, dass die Menschen leben. Doch Johannes geht ein Stück weiter, indem er den Messias ankündigt. Dazu nahm er die Verheißung des Trostbuches Israels aus dem Propheten Jesaja auf, wo es im 40. Kapitel heißt: „Es ist eine Stimme deines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn und macht seine Steige eben. Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden. Und alle Menschen werden den Heiland Gottes sehen.“ (40,3-5 in Lukas 3,4-6) Johannes verstand sich als einer, der mit Wasser taufte und er kündigte den an, der die Menschen mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen werde (Lukas 3,16). Jesus hat zwar selber nicht getauft. Aber die Abkündigung des Johannes hat sich als Jesustaufe gehalten. Die Taufen des Johannes und Jesus haben ihre Wirkung in die urchristlichen Gemeinden behalten. Davon hörten wir vorhin in der Lesung. Die Johannestaufe wurde in den ersten Gemeinden als Taufe der Buße praktiziert und die Taufe Jesu als Geisttaufe, deren Wirkung war, dass die Getauften in Zungen redeten und weissagten (Apg. 19,6). Diese Geistgabe der Glossolalie bzw. der prophetischen Rede hat in den ersten Gemeinden einen großen Raum eingenommen. Weiter mit Johannes. Er predigte gegen Herodes u.a. gegen dessen Lebensführung. Herodes hatte nämlich die Frau seines Bruders Philippus geheiratet und deshalb gesagt: „Es ist nicht recht, dass du die Frau deines Bruders hast.“ (Markus 6,18). Herodes fühlte sich gedemütigt und ließ Johannes ins Gefängnis werfen. An einem seiner Geburtstage geschah folgendes: die Tochter seiner Frau Herodias tanzte und das gefiel ihm gut. Da versprach er ihr alles zu geben, was sie von ihm verlangte. Ihre Mutter flüsterte ihr etwas ins Ohr. Da sagte die Tochter: „Gib mir hier auf einer Schale den Kopf Johannes des Täufers.“ So kam es, dass Johannes enthauptet wurde. Die Jünger des Johannes nahmen seinen Leichnam und begruben ihn und erzählten alles Jesus (Matthäus 14,12). Johannes starb Anfang, Mitte dreißig. Die Bedeutung des Johannes ist auf dem Isenheimer Altar einprägsam dargestellt als der, der auf den Messias, den gesalbten König und Retter der Welt mit einem überlangen Zeigefinger hinweist. Als solcher ist Johannes unlöslich mit Jesus und Jesus mit Johannes verbunden. Doch was bei Johannes, seinem Vater und seiner Mutter noch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft war, fällt bei Jesus in eins: In ihm ist Gott da! In ihm ist das Reich Gottes mitten unter uns! Und wenn Gott da ist, ist die Zeit aufgehoben. Dann gibt es nur noch IHN.

Was können wir persönlich von Johannes lernen?

Namen sind wichtig.

Namen, die wir geben, prägen uns ein Leben lang. Da gibt es auch Grenzen. Bei einem Standesamt, das die Namen geborener Kinder beurkundet, ist mal folgendes passiert: zwei Elternpaare wollten ihren Söhnen den Namen Falcetto und Pumukl geben. Das hat das Standesamt abgelehnt. Was für kleinere Kinder noch witzig scheint, kann für Kinder, die dann erwachsen sind, mehr als peinlich sein.

Was kann die Kirche von Johannes lernen?

Eindeutig sein. Politisch und persönlich. Johannes hat nicht nur die Politik des Herodes kritisiert, sondern auch seine private Lebensführung. Für ihn gehörte beides zusammen. Ich habe den Eindruck, dass es manchmal leicht ist, politisch zu sein in der Kirche. Es würde aber auch zu ihrer Eindeutigkeit gehören, dass sie die private Lebensführung der Menschen und der politisch Verantwortlichen kritisch begleitet und benennt, was nach ihren Grundsätzen nicht in Ordnung ist.

Hinweis sein. Nicht, dass sich Leben und Auftrag des Johannes im Hinweis auf den Stärkeren, Christus selbst, erschöpft hätte. Er hatte einen eigenen Auftrag. Das zeigt die Wirkung gerade im Bezug auf seine Taufe in die ersten Gemeinden hinein. Aber das Hinweisen auf Christus hat ihn stark bestimmt. Wie sieht es damit in unserer Kirche aus? Sie wäre in der guten Bedeutung des Wortes „johanneische“ Kirche, wenn sie sich den langen Zeigefinger des Johannes zu eigen machte und in der zunehmenden Fülle von Sinnangeboten auf Christus hinweisen würde – unaufhörlich, beharrlich, klar und deutlich. Denn letztlich ist die Botschaft der Kirche doch, dass Gott gnädig ist, dass er sich den Menschen zuwendet und die Wende zum Guten will. Durch Christus, seinen Sohn, den Herrn der Kirche.

AMEN

9. Predigt zum Fest der Dreieinigkeit Gottes (Trinitatis) in Gundelfingen am 26.5.2024 

Grundlage: Epheser 1,3-14

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus! So begrüßt Paulus in seinem Brief die Jesusgläubigen in Ephesus und so grüße ich euch heute auch. Damit stehen wir in der geistlichen Tradition derer, die sich im Glauben an den Juden Jesus das wünschen, was es nirgends zu kaufen gibt und was man sich selber auch nicht zusagen kann: Gnade und Friede. Im Grunde nichts anderes als Gott selber. Denn er ist Gnade und er ist Friede. Ich wünsche euch also die Kraft Gottes, die euch unter die Arme greift, wenn ihr an euch zweifelt und nicht mehr weiterwisst vor lauter Schuldgefühlen. Und ich wünsche euch die Kraft Gottes, die in euch das Gefühl entstehen lässt, dass ihr geborgen und getragen seid und es euch an Leib und Seele gut gehen soll. Mehr als Glück jedenfalls. Friede. Schalom. Und das gleich doppelt: von Gott, unserem Vater und von Jesus Christus, unserem Herrn.

Das also gleich mal vorweg. So stimmt es zwischen uns. Dann können wir jetzt in die weiteren Worte des Paulus eintauchen. Wir lesen sie (1,3-14) im Wechsel wie Eingangs den Psalm:

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen im Himmel durch Christus.

Denn in ihm hat er uns erwählt, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten in der Liebe; 

er hat uns dazu vorherbestimmt, seine Kinder zu sein durch Jesus Christus nach dem Wohlgefallen seines Willens, 

zum Lob seiner herrlichen Gnade, mit der er uns begnadet hat in dem Geliebten.

In ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden, nach dem Reichtum seiner Gnade,

die er uns reichlich hat widerfahren lassen in aller Weisheit und Klugheit. 

Gott hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens nach seinem Ratschluss, den er zuvor in Christus gefasst hatte,

um die Fülle der Zeiten heraufzuführen, auf dass alles zusammengefasst würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist, durch ihn.

In ihm sind wir auch zu Erben eingesetzt worden, die wir dazu vorherbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt, nach dem Ratschluss seines Willens, 

damit wir zum Lob seiner Herrlichkeit leben, die wir zuvor auf Christus gehofft haben. 

In ihm seid auch ihr, die ihr das Wort der Wahrheit gehört habt, nämlich das Evangelium von eurer Rettung – in ihm seid auch ihr, als ihr gläubig wurdet, versiegelt worden mit dem Heiligen Geist, der verheißen ist, 

welcher ist das Unterpfand unseres Erbes, zu unsrer Erlösung, dass wir sein Eigentum würden zum Lob seiner Herrlichkeit.

Am heutigen Sonntag geht es um die Trinität, also die Dreieinigkeit Gottes. Wir wissen alle, wie schwierig es ist, 3 Personen oder drei Parteien, die regieren möchten, unter einen Hut zu bringen. Geht fast gar nicht. Deshalb ist der Glaube an die Dreieinigkeit Gottes so wichtig für uns. Denn wir glauben, dass das Zusammenleben in Gott gut ist und gelingt ohne Neid, ohne Konkurrenz, ohne hinterhältige Gedanken und ohne irgendetwas, das es trüben könnte. Deshalb braucht es in Gott auch keine Vergebung. Gott ist als dreieiniger in sich gelungene und gelingende Beziehung. Deshalb können nur von ihm Gnade und Friede ausgehen, weil er das seit Ewigkeiten in sich lebt. Dieses göttliche Zusammenleben geschieht auf Augenhöhe von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Sie haben nur eines im Sinn: dass der andere sich selbst sein und im Miteinander aufblühen kann. Dieser Geist des gelingenden Miteinanders ist es, der an Pfingsten die Jesusgläubigen aus aller Herren Länder erfüllte, sich einander verstehen und mit einer Sprache sprechen ließ. In diesem Geist ist die Gemeinschaft gegründet, die man ab dem 2. Jahrhundert nach Christus  „Christen“ nannte. Nach zweihundert Jahren war diese Jesusbewegung zur alleinigen Religion des Römischen Reiches geworden, wobei gerade mal 10% der Bevölkerung diesem Glauben anhing. Der Glaube an den dreieinigen Gott ist grundlegend für alle christlichen Konfessionen weltweit. Und diesen Glauben breitet Paulus zu Beginn seines Briefes an die Jesusgläubigen in Ephesus aus. Noch nicht so klar formuliert wie Jahrhunderte später, aber im Ansatz schon klar zu erkennen. Und immer zieht er auch die Linien aus zu den Gläubigen in Ephesus.

Wie spricht Paulus von Gott? Er nennt ihn Vater von Jesus. Paulus wusste, was er da schrieb. Er wusste, dass Jesus der Erste war, der den jüdischen Gott mit Abbá ansprach. Das ist eigentlich nicht zu übersetzen. Im Grunde genommen meint Abbá eine geschlechtsneutrale Anrede an ein zärtliches, sorgendes und liebendes Gegenüber. So nennt Jesus seinen Gott eben Abbá. Man wusste sich nicht anders zu helfen, als Abbá mit Vater zu übersetzen. Man muss diese Anrede aber mit Inhalt füllen. Wie ist dieser Gott? Was tut er? Er segnet, er erwählt, er liebt. Das meint Abbá. Damit steht Paulus ganz klar in der Tradition des Gottesverständnisses von Jesus. Wichtig ist auch anzumerken, wer Gott für ihn nicht ist: der Richter, der Allmächtige, der Herrscher, der König. Gott hat im Epheserbrief keinen Hoheitsstatus. Er segnet, er erwählt, er liebt.

Wie spricht Paulus von Jesus? Er war es, der Gott als Erster als Abbá angesprochen hat. Der ein Jude war und der Juden dazu bewegte, ihm zu folgen und an ihn zu glauben. Er erlöst, er vergibt, er ist reich an Gnade, in ihm ist alles zusammengefasst, was Gott geschaffen hat. Wichtig ist hier anzumerken, dass Paulus nichts aus dem Leben Jesu erzählt: was er geredet hat, dass er geheilt hat, dass er gekreuzigt wurde und auferstanden ist. Warum? Weil das eh alle wissen. Aber das, was er hier schreibt, ist neu und gründet auf dem Leben Jesu.

Wie spricht Paulus vom Heiligen Geist? Er versiegelt die, die an Jesus glauben. Als wären wir ein Brief, der in einen Umschlag gelegt und versiegelt wird. Wir sind sozusagen in der neuen Welt Gottes drin. Und der Heilige Geist macht damit ernst.

Bleibt noch eine Frage: Wie spricht Paulus von den Gläubigen? Denn das ist ja klar: der Glaube wirkt sich im Leben der Menschen aus. Wenn nicht, wäre er abgehoben und ohne Bedeutung. Wo also sind wir? Wir sind Gesegnete in Christus. Wir sind Erwählte in Christus von Ewigkeiten her. Wir sind seine Kinder, weil er das so will. Wir sind Begnadete. Uns ist vergeben. Wir hüten das große Geheimnis Gottes, dass alles auf Christus zuläuft und er alles zusammenhält. Wir sind Erben des göttlichen Willens. Wir sind Lobschilder Gottes. Wir gehören Gott. Bleibt anzumerken, was dem im konkreten Leben entsprechen soll. Lassen wir diesen göttlichen Reichtum in unserem Leben zu, dann können wir gar nicht anders als aufzublühen. Das meint es, dass wir ein Lob zu seiner Herrlichkeit sind.

So weit Paulus und sein Einstieg in den Brief an die Jesusgläubigen in Ephesus. Heute am Sonntag Trinitatis. Heute hier in Gundelfingen. Damals in Ephesus im 1. Jh. n.Chr. Ephesus, eine Hafenstadt mit 250.000 Einwohner an der Westküste der heutigen Türkei. Hauptstadt der Provinz Asia, die die reichste Provinz im Römischen Reich und kulturell am höchsten entwickelt war. Mit einer imposanten Stadtmauer und drei Prachtstraßen mit Eingangsbögen, die in die Stadtmitte führten. Ephesus mit seinen vielen Tempeln und Theatern. Das größte hatte 50.000 Sitzplätze. Ephesus mit seinen vielen öffentlichen Bädern und großen öffentliche Toilettenlagen mit Wasserspülung. Wer sich den Eintritt leisten konnte, machte da seine „Geschäfte“. Die Reichen und Einflussreichen unter sich. Versteht sich von selbst. Ephesus mit seinem Hafen, der ein Knotenpunkt im Ost-West-Handel war. Es kamen Schiffe aus Spanien, Italien, dem Balkan, Nordafrika, Syrien, Frankreich, Ägypten, aus dem Schwarzen Meer mit Getreide. Ephesus mit seiner Stadtgottheit Artemis. Ihr Tempel war 130 Meter lang, 70 Meter breit und 12 Meter hoch und damit 4x so groß wie das Pantheon in Athen. Eines der 7 Weltwunder. Aus aller Welt wallfahrten Menschen zum Artemistempel nach Ephesus.

Und inmitten dieser wahnsinnig reichen und prosperierenden Stadt eine jesusgläubige jüdische Gemeinde. Ihr spricht Paulus in seinem Brief einen anderen, göttlichen Reichtum zu. Erwählt sein von Ewigkeiten her, an einen Gott glaubend, der alles zusammenhält und dessen Reichtum weitergegeben wird. Die Gläubigen nannten ihre Zusammenkünfte ecclesia wie die Volksversammlungen der freien Städte, wie Ephesus eine war. Nur dass hier keine politische Versammlung, sondern eine Vollversammlung im Himmel stattfindet, zu der jeder ohne Ausnahme Zutritt hat. Auch die 80%, die in Ephesus der Unterschicht angehörten: Sklaven, Hafenprostituierte, Kinder.

Glauben in einer Stadt, in deren Mitte ein überdimensionaler Tempel stand, zu dem Massen strömten, um die Artemis zu verehren. Da muss man sich zurechtfinden mit seinem Glauben an einen Gott, den man nicht sieht und von dem doch so viel gesagt und erfahren werden kann. Einem Gott, der mit seinen Worten so stark ins Leben kommt, dass man sprachlos wird. Einen Gott, der zu dir kommt und zu dem man nicht wallfahren muss. Ein Gott, der nichts kostet und keine Opfer braucht. Dem es reicht, wenn du ihm dein Herz öffnest. Da musst du dich zurechtfinden mit deinem Glauben. Damals in Ephesus. Heute in Gundelfingen und in Bahlingen.

Ein paar Jahrzehnte später bekamen die Jesusgläubigen in Ephesus einen Brief aus Patmos von Johannes, der dort eine Auszeit genommen hat. Johannes lobt darin ausdrücklich die Mühe und die Geduld der Gläubigen: dass sie um des Namens Gottes willen die Last getragen und nicht müde geworden sind. Dass es aber nicht so einfach war und sie in der Gefahr stehen, die erste Liebe zu verlassen.

Das, liebe Gemeinde, soll aber nicht passieren. Nicht hier in Gundelfingen und auch sonst nirgends. Warum auch?

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. AMEN

10. Predigt zu Himmelfahrt 2024 in Bahlingen

Grundlage: Apostelgeschichte 1,3-11

Liebe Gemeinde,

in den Himmel gehoben. Umhüllt. Gen Himmel gefahren. War´s das? Aus den Augen, aus dem Sinn? Weg. Jesus. Einfach weg. Es ist doch seltsam, oder? Auferweckt und auferstanden. 40 Tage hat er sich Zeit genommen, um durch verschlossene Türen zu gehen, sich zu zeigen und zerrüttete Beziehungen zu heilen. Und dann weg? Wozu? Warum nicht bleiben? Ist er denn nicht auferstanden, um zu bleiben? Dass wir heute „Himmelfahrt“ und nicht Vatertag feiern, hat einen Grund. Eine bescheidene Erzählung aus der Apostelgeschichte hat die Kirche zu einem globalen Feiertag gemacht. Lukas war es, der alles, was mit und um Jesus herum geschehen war, sorgfältig recherchiert und in zwei Bücher geschrieben hat. Das eine ist das Evangelium und das andere die Apostelgeschichte. Im Evangelium geht es um Geburt, Leben, Sterben und Auferstehung Jesu. In der Apostelgeschichte geht es um die Bewegung der Jesusgläubigen, die später Christen hießen und woraus die Kirche wurde. Ab dem 4. Jh. nach Christus die alleinige Kirche des Römischen Reiches. Die Apostelgeschichte beginnt mit der Erzählung von der sog. Himmelfahrt Jesu.

Ihnen zeigte Jesus sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes. Und als er mit ihnen beim Mahl war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, die ihr so sprach er von mir gehört habt; denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen. Die nun zusammengekommen waren, fragten ihn und sprachen: Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel? Er sprach aber zu ihnen: Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat; aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde. Und als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf, weg vor ihren Augen. Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht gen Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen. 

Warum soll das wichtig sein? Warum muss Jesus in den Himmel gehoben werden? Reicht es nicht, dass er auferweckt wurde und auferstanden ist? Das hat sich vermutlich Matthäus auch gefragt. Sein Evangelium ist das längste. In ihm steht die Bergpredigt. Am Ende dieses Evangeliums angekommen, staunt der Leser, der Lukas kennt. Denn Matthäus hat keine Himmelfahrt. Matthäusevangelium endet mit dem Versprechen Jesu: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!“ Bei Matthäus bleibt Jesus nach der Auferstehung da. Das ist logisch. Wer verspricht, da zu bleiben, kann nicht weggehen. Matthäus denkt sich: Jesus ist gekommen, um zu bleiben. Er ist auferstanden, um zu bleiben. Das ist doch gut so, oder? Das hat wiederum einen Grund: Matthäus geht es um die Gemeinde.

Ihm war wichtig, dass sie in dieser Welt nicht alleine ist. Er wollte, dass in ihr Jesus als Auferstandener da ist und dableibt; dass seine Gegenwart die Gemeinde trägt und tröstet. Und bei Lukas? Ihm geht es zuerst um Jesus. Er lässt ihn in den Himmel aufgehoben werden. Damit hinterlässt Jesus eine große Lücke, ja geradezu eine Leere. Und die wird 10 Tage später gefüllt mit der Ausgießung des Heiligen Geistes. Kurzum: was wir an aktuellen Feiertagen haben gründet sich auf das, was Lukas geschrieben hat. Die Himmelfahrt Jesu, die Ausgießung des Heiligen Geistes, also Pfingsten und die Entstehung der Kirche.

Möglicherweise passiert in unserer Kirche in nächster Zeit eine Verschiebung von Lukas zu Matthäus. Es kann sein, dass wir die Abfolge von Karfreitag – Ostern – Himmelfahrt – Pfingsten mit der Gegenwart Jesu füllen. Mit dem Jesus, der gekommen ist, um zu bleiben. Warum sollte das passieren? Weil sich unsere Kirche auf ihren Ursprung. Besinnen wird. Also darauf, woher sie kommt und was sie ausmacht. Und das ist ein Versprechen. „Ich bin bei euch. Ich werde für euch da sein.“ Größeres kann kein Gott versprechen und können wir uns auch nicht versprechen.

„Ich bin bei dir.“

…sagen sich Menschen, die sich trauen….

…sagen Vater und Mutter zu ihrem kranken Kind…

…sagt der Freund zu seinem Freund, der aufgeben will…

…sagt die Schwester zum Bruder, der um sein Leben ringt…

…sagt die Liebe…

Unsere Kirche wird diese Gegenwart Jesu brauchen. Sie wird diesen Auferstandenen entdecken, weil sie ohne seine Worte nicht leben und nicht überleben kann. „Ich bin bei euch. Ich werde für euch da sein.“ Das ist der Immanuel. Der Gott, der sich einst im unwirtlichsten Ort dieser Welt, einem Dornbusch, dem einsamen Mose mit klarer Stimme mit den Worten offenbart hat: „Ich bin für dich da. Ich werde für dich da sein. Ich bin für euch da. Ich werde für euch da sein.“ Wer das verspricht, der kann nicht weggehen. Der bleibt. Der geht durch dick und dünn mit. Der hält aus. Der weicht nicht aus. Der trägt und erträgt. Der macht frei. Wer das sagt, kann nichts anderes als – lieben. Der liebende Gott sagt: „Ich bin bei dir. Ich werde für euch da sein.“

Dieses Jahr wurde mir das Herz schwer, als ich die Erzählung von der Himmelfahrt las. Gott nahm Jesus zu sich. Warum? Kaum auferstanden, schon Himmelfahrt? Macht das Sinn? Da stoßen wir auf einen scheinbaren Widerspruch. Denn Lukas berichtet die Himmelfahrt zwei Mal. Am Ende seines Evangeliums fährt Jesus an Ostern in den Himmel, nachdem er die Jünger gesegnet hat. in der Apostelgeschichte fährt Jesus 40 Tage nach der Auferstehung in den Himmel. Und was jetzt? Lukas hatte offenbar kein Problem damit, die Aufnahme Jesu in den Himmel unterschiedlich zu berichten. Denn für ihn war klar: der vom Himmel kam, geht auch dorthin zurück.

Aber eben verändert durch seine Zeit hier auf dieser Erde. Er wird jetzt Macht haben. Und die an ihn glauben – das sind wir – werden an dieser Macht teilhaben. Sie werden im Glauben an Jesus über den Dingen stehen. Sie haben eine gesunde Distanz zu allem, was sie an sich binden will. Sie sind frei. Lukas schreibt uns ins Herz: „Vergesst die Emporhebung Jesu in den Himmel nicht. Ihr braucht ihn dort, damit ihr hier hoffnungssture und glaubensheitere Gemeinde sein könnt – für euch selbst und für andere.“

Da wird es ein Staunen geben. Denn wo Jesus ist, wirkt sein Geist. Er verbindet Menschen unterschiedlicher Sprache, Kultur und Religion. Er begeistert die Menschen. Sie lösen sich von Geld und Gut, Status, Villa und Porsche. Er macht sie frei und gelöst. Er bewegt sie zu Neuem.

Einfach Kirche sein – in der Gegenwart des Auferstandenen. Das wird es sein – in Zukunft. Einfach nur Kirche sein. Einfach Kirche sein. Einfache Kirche sein. Kirche, die sich auf einem Versprechen gründet: „Ich bin für dich da. Ich werde für euch da sein.“

Ein Versprechen aus Mund und Herz des Auferstandenen.

Und das Herz wird leicht…

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

AMEN

11. Traueransprache Gustav Koch am 13.5.2024 in Bahlingen

Liebe Angehörige,

ich danke euch. Dank euch bin ich reicher. Als ich mich am Freitagmorgen zu euch auf den Weg machte, wusste ich nicht, was mich erwartet. Ich wusste nur: Neuer Weg 5 und dass Gustav Koch verstorben ist. Dann wurde ich begrüßt, nahm oben am Tisch Platz und bekam gleich einen Kaffee. Und der gemeinsame Weg begann. Ich lernte Gustav Koch kennen durch euch. Der, den ich nicht kannte, wurde mir vertraut. Durch eure Erzählungen, durch eure Erinnerungen, durch eure Ehrlichkeit. Und dann gab es da eine Stille. Und der Schmerz durfte sein. „Er fehlt.“ Auch das durfte ich kennenlernen und es hat mich mit euch verbunden. Wir kennen es, von lieben und wichtigen Menschen Abschied zu nehmen.

Ich habe durch euch euren Vater, Schwiegervater, Opa und Lebenspartner kennengelernt. Ein Familienmensch, der gesorgt hat, immer eine helfende Hand frei hatte, ein schaffiger Mann, ein Treppenspezialist. Der mit seinen Kindern gerne einen Ausflug zum Baggersee, die Schelinger Matte und zur Wilhelma machte. Oft war das nicht. Das Leben war durch Arbeit bestimmt. Sie kam auch seinen Kindern zugute. Für sie erweiterte er das Haus, damit jedes Kind ein eigenes Zimmer hatte. Gustav Koch kam mir besonders nah, als ihr mir von seinen Eigenschaften erzählt habt. Er war hilfsbereit, gutmütig, tierlieb und humorvoll. Er konnte verschmitzt lachen. Und wenn er darauf angesprochen wurde, sagte er einfach nur: „Ich bin wie ich bin.“ Lernbereit war er. Nach dem Tod seiner Frau brachte er sich das Kochen bei, womit er auch seine Enkel beglückte. Gustav Koch wusste, was er wollte. Er war sesshaft und heimatverbunden.

Schwere körperliche Arbeit über Jahre hinweg hinterlässt ihre Spuren. Gustav Koch gehörte einer Generation an, die unser Land nach dem verheerenden 2. Weltkrieg mit seinem Fleiß und seiner Zuverlässigkeit aufbaute. Da sind wir, die Kinder dieser Generation, unseren Eltern zu großem Dank verpflichtet und folgend auch unsere Kinder und Enkel. Was der Arbeit im Weg stand, wie etwa Krankheit, wurde nicht so ernst genommen. Die Pflichterfüllung stand über dem eigenen Befinden.

Mit 80 Jahren wurde er Witwer. In den folgenden Jahren konnte er immer wieder sagen: Ich habe mein Leben gelebt. Das hieß aber nicht, dass er sich aufgegeben hätte. Er wollte realistisch bleiben. Und deshalb fragte er nach dem Sinn einer medizinischen Maßnahme: „Was bringt mir das?“ Sprich: „Wieviel Lebenszeit bringt mir das?“ Und dann sagte er einfach nur noch: „Ich will heim.“ Es war nicht so, dass er mit seinem Leben abgeschlossen hätte. Er hat in einem stillen Moment gezeigt, dass er an seinem Leben hängt, als er sagte: „Ich will noch nicht gehen!“ Ein Mann wie er weiß, was ihm Heimat bedeutet: Frau, Kinder, Haus, Arbeit, die Reben, anderen aushelfen.

Und dann gab es einen Moment, in dem wir seinem Sterben Raum gaben. Der letzte Atemzug eines Menschen ist ein so ganz anderer wie all die Millionen Atemzüge unseres Lebens. Es ist ein langes Ausatmen, ein sich Entspannen, ein Loslassen. So verstarb Gustav Koch am Dienstag letzter Woche um 7:30 Uhr im gesegneten Alter von 88 Jahren. Er war von seiner Familie umgeben.

Und dann war er unter uns wie er leibt und lebt. Durch das, was von ihm erzählt wurde. Sein ganzer Lebensreichtum erfüllte uns alle, ersparte uns aber nicht den Schmerz über den Abschied.

Menschen auf der ganzen Welt sind durch vergleichbare Erlebnisse miteinander verbunden: sie werden geboren, sie haben Eltern, sie arbeiten, sie lieben, sie trennen sich, sie essen und trinken, sie bauen, sie atmen, sie sterben. Und sie glauben. Der Glaube will Beziehung. Der Glaube will Begegnung. Deshalb kennzeichnet einen Glauben, dass er mit einem anderen spricht, sich mitteilt, sein Herz ausschüttet, Trost sucht und einen Weg gemeinsam geht, zumal einen neuen. Das nennen wir beten. Das Gebet ist unser Trostraum, in dem wir geborgen sind in der Gegenwart Gottes. Und manchmal nehmen uns die Fragen des Lebens so gefangen, dass wir anderes nicht merken. Wie damals, als nach dem Tod Jesu zwei seiner Jünger zurückgingen in ihren Alltag mit vielen Fragen, auf die sie keine Antwort wussten. Und ER war bei ihnen. Ging mit ihnen. Fragte sie nach ihrem Kummer. Und sie schütteten ihm ihr Herz aus. Beten nennen wir das. Sich einander anvertrauen. Und als sie zu Hause ankamen, wollte er weitergehen. Doch sie drängten ihn, bei ihnen einzukehren und mit ihnen zu essen. „Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt.“, waren ihre Worte. Und als er das Brot nahm und es brach, fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen: „Es war der Auferstandene Christus. Er war mit uns auf dem Weg. Er war neben uns.“ Jetzt erinnerten sie sich auch, dass ihr Herz brannte trotz all des Schweren, das sie zu verarbeiten hatten.

„Bleibe bei uns!“ Eine solche Bitte kommt aus der Tiefe der Seele. Ihr, liebe Angehörige, wart bei Gustav Koch. Ihr wart ihm Heimat. Unsere Gegenwart ist ein Schatz, den wir einem anderen geben können. Die Begegnung mit ihm wird uns reicher machen. „Bleibe bei mir!“ ist auch eine Gebetsbitte. „Gott! Bleibe bei mir!“ Wer so bittet, trifft den Nerv des Wesens Gottes. Denn nichts anderes als das will unser Gott. Er will für uns da sein. Heute, morgen, für immer. So wie zu uns, sagt er es auch zu Gustav Koch. „Ich bin bei dir.“ So lasst uns heute getröstet und bereichert Abschied nehmen. AMEN

12. Predigt am Sonntag Rogate (5.5.24) in Tutschfelden

Grundlage: 2. Mose 32,7-14

Liebe Gemeinde, 

das Gebet ist der Ernstfall des Glaubens. Als Jesus gefragt wurde, wie und was man beten soll, hat er gemeint, man solle nicht viele Worte machen und nicht rumplappern. Das muss er auch bei Mose gelernt haben. Von seinem Beten erfahren wir im 2. Buch Moe im 32. Kapitel:

Der HERR sprach aber zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt. Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und habens angebetet und ihm geopfert und gesagt: Dies sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenland geführt haben. Und der HERR sprach zu Mose: Ich habe dies Volk gesehen. Und siehe, es ist ein halsstarriges Volk. Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie verzehre; dafür will ich dich zum großen Volk machen. Mose wollte den HERRN, seinen Gott, besänftigen und sprach: Ach, HERR, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast? Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden? Kehre dich ab von deinem glühenden Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst. Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig. Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk angedroht hatte.

Anrührend und vielschichtig ist diese Geschichte. Wir erleben zwei Welten. Eine vordergründige und eine hintergründige.

Die vordergründige Welt: das von Gott befreite Volk kippt um. Es hält nicht aus, dass Mose weg ist. Und füllt die Lücke mit Leichtsinn. Es will glauben und braucht dafür ein sichtbares Gegenüber. Wie es damals halt üblich war. Das spricht für das Volk. Doch ihm fehlt das, was die Tiefe des Glaubens ausmacht: Geduld und Ausdauer. Die letzte Schrift der Bibel – die Offenbarung des Johannes – macht Geduld und Ausdauer zum Thema. Sie sind bei Gläubigen gefragte Tugenden. Das Volk Israel hat sie noch nicht auf dem Schirm. Es war noch nicht firm im Glauben. Als Sklaven musste sie kuschen und schuften. Jetzt sind sie Freie. Und jetzt werden sie in ihrer ersten Unsicherheit von ihrem jahrelangen Muster des Gefangen- und Abhängigseins eingeholt. Man lernt die Freiheit nicht leicht und schnell. Abhängig oder unterdrückt werden, geht schneller. Freiheit leben ist eine Lebensaufgabe, weil sie ohne Verantwortung nicht auskommt. Auch gegenüber Gott.

Die hintergründige Welt: Mose und Gott schmieden Zukunftspläne für das befreite Volk: wie es vor und mit seinem Gott leben soll; es werden verschiedene Opferarten eingeführt; Priester sollen geweiht werden und es wird geklärt, welche Kleider sie tragen sollen; dass für das Heiligtum Steuern gezahlt werden sollen; dass es ein Kupferbecken zur Reinigung geben soll; mit welchen Handwerkern die Stiftsheute erbaut und wie der Sabbath begangen werden soll; und die 10 Gebote auf zwei Tafeln. Alles besprochen, vorbereitet und beschlossen. Wie ein Festmenü.

Und dann der harte Aufprall. Plötzlich passt nichts mehr zusammen. Zurück bei seinem Volk, fällt Mose aus allen Wolken. Das befreite Volk tanzt aus der Reihe. Es hielt die Abwesenheit des Mose nicht aus. Es brauchte einen Gott. Es dachte, der damals übliche drei Jahre alte und kräftige Jungstier sei der Gott, der sie befreit hat. Naiv war das und verletzend. „Könnt ihr nicht wachbleiben?“, fragte Jesus seine Jünger, als sein Leben auf der Kippe stand. Aus der Reihe tanzen, das Wesentliche verschlafen, die Feier verpassen, weil man keine Geduld hat und nicht glauben kann, was versprochen ist. Kurzum: Gott verletzen. Das zieht sich durch die Religionsgeschichte. Wir glauben nun mal nicht an einen gefühlsneutralen Gott. Wir glauben an einen Gott, dessen Wesen es ist, sich zu zeigen und in Beziehung zu leben. Er will sich zuwenden. Deshalb verletzt es ihn, wenn sich sein Volk von ihm abwendet oder ihn vergleichbar mit anderen Göttern macht.

Dabei schwingt mit, wie wir in Beziehung leben. Was wir uns vorstellen, wie das gehen kann mit dem Partner und der Partnerin, den Kindern, den Enkeln und Schwiegerkindern, den alt gewordenen Eltern, dem Zusammenleben in einer großen Familie, in einem Dorf, in einer Gesellschaft, in einem Land, in der Welt und mit den Nachbarn. In Beziehung leben bringt Glück und Erfüllung mit sich, Freude und Ausgelassenheit. Aber auch das andere wie Enttäuschung und Verletzung, Missverständnisse und Trennung. Hape Kerkeling meinte mal: Beziehung ist Arbeit, Arbeit – noch was? Aber klar doch: Arbeit!

Gott lernt. Gott bewegt sich. Gott ist einsichtig. Weil er in Beziehung investiert. Weil er für sich festgemacht hat: es lohnt sich, dass ich das will! Und weil er davon nicht abrücken will, verstehen wir seine unmittelbare Reaktion auf den Veitstanz seines Volkes. Er will es vernichten. Er will nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er hat ja noch Mose. Ihm, dem treuen Knecht, verspricht er in die Hand: Ist dieses Volk vernichtet, dann mache ich aus dir ein großes Volk.

Erlebte Verletzung kann ein Leben lang an die Person binden, die einem das angetan hat. Man hegt Rachegefühle. Man wird sie nicht los. In diesem Stadium zu verharren, macht bitter. Und da wird Mose jetzt zur entscheidenden Figur. Er geht nicht auf den Vorschlag Gottes ein. Er schlägt die weltgeschichtliche Karriere aus, die ihm Gott anbietet. Mose geht einen anderen Weg. Er redet ernst mit Gott. Er betet. Weiß er oder ahnt er, dass in Gott noch andere Möglichkeiten schlummern als der Zorn? Mose jedenfalls ist mutig und wagt zweierlei. Er schlägt das Angebot Gottes aus und stellt sich vor das Volk. Er macht sich zu seinem Anwalt. Er hält ein Plädoyer für das Volk. Er argumentiert für das Volk. Wie macht er das? Er fleht Gott an. Er erinnert Gott an das, was er schon in die Beziehung mit seinem Volk investiert hat. Er hat es befreit. Und er appelliert an Gottes Ehre. Sollen die Ägypter über dich lachen? Erst befreist du das Volk und dann bringst du es um? Ist das wirklich dein Ernst? Und schließlich riskiert Mose alles und fordert Gott auf: Kehre dich ab von deinem Zorn. Denke an deine Geschichte. An Abraham, Isaak, Israel. Du hast ihnen eine große Zukunft versprochen. Willst du, Gott, dein Wort brechen für immer?

Die letzten Sätze, liebe Gemeinde, nennen wir Gebet. Mit Gott reden, mit Gott ringen, ihn bewegen mit den eigenen Anliegen, an ihn appellieren, es gut zu meinen – das ist Gebet. Bei Mose hat es gewirkt.  Gott bereute, dass er das Volk vernichten wollte. Gott bereute, weil Mose ihn bekniete. Gott lernte. Gott bewegte sich. Gott war einsichtig, weil Mose ihn überzeugte.

Wundert es uns, dass Jesus da ganz wie der Vater war? Wenn er bei Gott war, wie uns das Johannesevangelium lehrt, dann hat er das mitbekommen. Und er dachte sich: wenn ich auf die Erde gehe, dann habe auch ich zu lernen wie mein Vater von Mose lernte, innerlich umzuschwenken von Zorn auf Gnade. So kam es auch. Im Grenzgebiet von Galiläa zu Tyrus kam eine fremde Frau auf Jesus zu. Sie flehte ihn an, von ihrer Tochter den bösen Geist wegzunehmen. Er aber ließ sie links liegen, weil er davon überzeugt war, dass er nur für Israel gekommen war. Dann beleidigte er die Frau mit den Worten: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. Es war ja klar, wen er meinte. Die Kinder waren die Kinder Israel und die Hunde waren die Ausländer. Doch die Frau blieb hartnäckig wie Mose und widersprach ihm: Ich gebe dir recht. Doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch der Herren fallen. (Mt 15,21-28) Als sie das sagte, fiel bei Jesus der Groschen. Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst!

Und was ist jetzt Beten? Nichts anderes, als zu sagen, was man will. Beten macht nur Sinn, wenn ich glaube, dass ich Gott überzeugen kann von dem, was mir am Herzen liegt. Das Gebet ist der Ernstfall des Glaubens. Also: Mach´s wie Mose. Setze dich ein. Mach´s wie die fremde Frau. Gib nicht auf. Mach´s wie Jesus. Sag´s in einfachen und klaren Worten.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. AMEN

13. Predigt am Sonntag Kantate in der Melanchthongemeinde Freiburg / 28.4.24

Grundlage: Offenbarung 15,2-4

Liebe Gemeinde,

der Himmel singt und klingt. Er ist in bester Stimmung. Denn die himmlische Chor- und Orchestergemeinschaft singt und spielt Siegeslieder. In der Offenbarung des Johannes klingt das so: Und ich sah, wie sich ein gläsernes Meer mit Feuer vermengte, und die den Sieg behalten hatten über das Tier und sein Bild und über die Zahl seines Namens, die standen an dem gläsernen Meer und hatten Gottes Harfen und sangen das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen? Denn du allein bist heilig! Ja, alle Völker werden kommen und anbeten vor dir, denn deine Urteile sind offenbar geworden. (15,2-4)

Beste Stimmung im Himmel. Harfenklänge wie einst bei König David. Man hört sie klingen und schwingen, wenn man die Psalmen Davids betet. Er, der größte König Israels, hat sie zur Harfe gesungen. Eine Chorgemeinschaft singt beschwingt vom Sieg derer, die sich nicht haben unterkriegen lassen. Zwei Lieder werden gesungen: das Lied des Mose und das Lied des Lammes. Es dürften nicht die einzigen Lieder sein. Aber seid gewiss: im Himmel werden ausschließlich Siegeslieder gesungen. Da gibt es nichts zu beschönigen. Die einstigen Komponisten dieser Erde sind schon dran, auf ihre Weise neue Chor- und Orchesterwerke zu schreiben für die Siegesfeiern im Himmel. Beste Stimmung im Himmel. Siegesfeier.

Wo ein Sieg, da eine Niederlage. Und da wird´s heikel. Denn es widerspricht unseren christlichen Werten, sich über Verlierer lustig zu machen. Deshalb müssen wir hier genau hinschauen, weshalb der Himmel so freudig Siegeslieder singt.

Jeder Text hat einen Kontext. So auch die Offenbarung des Johannes. Sie ist ein Buch mit verschlüsselter Sprache. Manche meinen, sie sei zeitlos und abgehoben. Denn es ist so, dass sie bezüglich der Zeit, in der sie geschrieben wurde, schweigt. Deshalb benutzen sie theologische Scharlatane auch dazu, mit ihr das Ende der Welt vorauszusagen. Ist man blind, faul, uneinsichtig, gar verblendet, dann macht man das. Ist man aber hellsichtig, fleißig, offen und klar im Kopf, dann nimmt man wahr, in welcher Zeit die Offenbarung geschrieben wurde. Und schaut hinter das Schweigen. Denn jedes Schweigen hat einen Grund. Und die Offenbarung hatte allen Grund zu schweigen. Denn Johannes war überzeugt, dass das Römische Reich eine satanisch geprägte Macht ist. Würde er das offen aussprechen, würde er seine verfolgte Leserschaft in noch in größere Not bringen, als sie eh schon ist. Der Grund des Schweigens ist also ein geschichtlicher. Deshalb ist sie gerade nicht zeitlos. Ihr Schweigen führt uns tiefer in die Geschichte hinein. Sie wurde 95 nach Christus unter der Herrschaft des achten römischen Kaisers Domitian geschrieben. Sie enthält Sehberichte, also Visionen von Johannes. Er sieht über diese Welt hinaus viel von dem, was im Himmel alles so passiert. Er ist auf Patmos, einer kleinen felsigen Insel, 1 Stunde vom Festland entfernt. Johannes hat sich bei den römischen Behörden unbeliebt gemacht und nahm sich deshalb eine Auszeit.

Seine Offenbarung enthält sieben Briefe an sieben Gemeinden, die in Städten der römischen Provinz Asia beheimatet waren: Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodizea. Die Provinz Asia lag an der Westküste der heutigen Türkei und damals eine der reichsten im Römischen Reich. Das ganze Gebiet nannten die Römer Asia minor, woraus dann Kleinasien wurde. Und das muss uns jetzt klar sein: die Offenbarung wurde von Johannes an jesusgläubige Juden geschrieben. Diese nannte man erst gegen Ende des 2. Jh. „Christen“. Die jesusgläubigen Juden wurden verfolgt. Wegen ihres Glaubens an den auferstandenen Juden Jesus, der von den Römern gekreuzigt wurde, mussten sie um ihr Leben fürchten. Kaiser Domitian war da besonders gründlich. Johannes beschreibt die Situation der Gemeinden mit dem Wort „Bedrängnis“. Das steht für äußere oder innere Notlage. Für Ablehnung, Ausgrenzung, Verleumdung und das Erleben einer feindlichen Atmosphäre. In diese Notlage hinein kommt die Offenbarung. Ihr Ziel ist es, die verfolgten Jesusgläubigen zu ermutigen standzuhalten und sie zu trösten. Es ist Ausdauer gefragt und Durchhaltevermögen.

Die Codes in der Offenbarung können wie in jeder apokalyptischen Schrift entschlüsselt werden. Die Römer konnten sie nicht entschlüsseln, weil sie Heiden waren. Vorteil für Johannes war, dass seine Adressaten jesusgläubige Juden waren. Sie kannten sich bestens in der Thora und den Propheten aus. Für einen Römer und Griechen waren das böhmische Dörfer.

Schlüsselwörter heute sind: das gläserne Meer, das Tier und sein  Bild und das Lamm.

Das Meer war in der Antike der Ort der Untiefe. In dieser Urtiefe lauerten Ungeheuer, die jederzeit aufsteigen und ihr Unheil anrichten konnten. Deshalb hatten die Menschen in der Antike auch eine Heidenangst vor Stürmen auf hoher See. Die Menschen in der Provinz Asia hatten das Meer immer vor Augen. Das Meer in der Offenbarung ist immer das Mittelmeer. Rom lag für sie also jenseits des Meeres. Und wenn die Besatzungsmacht der Römer wieder mal unterwegs nach Kleinasien war, dann konnte sie nur über das Meer kommen bzw. aus dem Meer. Das Ungeheuerliche kam für die Menschen in der Provinz Asia also aus dem Mittelmeer. Und das waren die gefürchteten Römer. Zumal für die Jesusgläubigen. Dass im Himmel das Meer durchsichtig ist wie Glas will sagen, dass was passiert ist. Das Meer hat seinen Schrecken verloren. Es kommt nichts Bedrohliches mehr auf die Menschen zu. Man kann ohne Angst bis auf den Meeresgrund blicken.

Das Tier bzw. das Ungeheuer ist die Supermacht der Römer. Dieses Tier ist besiegt. Es ist im Meer ertrunken, also in seinem Element, aus dem es kam. Wie damals, als die ägyptische Armee die israelitischen Sklaven verfolgte und vom Meer verschluckt wurde. Diesen Sieg besang Mose. Das Bild des Tiers meint die im ganzen Römischen Reich aufgestellten Standbilder des jeweiligen Kaisers. Vor ihm mussten sich alle verbeugen. Das taten die Jesusgläubigen aber nicht. Dass mit dem Tier auch seine Standbilder besiegt sind, bedeutet, dass seine Macht gebrochen ist. Es gilt jetzt Gottes Wille.

Das Lamm steht für Jesus Christus. Er hat den größten Feind besiegt, den Tod.

Das Moselied und das Christuslied besingen also eine doppelte Befreiung: die von Unterdrückung und die vom Tod. Beides geschieht durch Mächte. Die Reiche der damaligen und heutigen Welt sind unterdrückerisch und ausbeuterisch. Menschen dürfen sich nicht frei entfalten. Ihnen wird vorgeschrieben, was sie denken dürfen, sagen müssen und nicht glauben sollen. Sie bringen den Tod über die Völker. Im Himmel aber wird der Sieg über sie gesungen.

Wir, liebe Gemeinde, haben unsere Heimat in diesem Himmel. Wir sind Teil dieser himmlischen Chorgemeinschaft. Nichts und niemand lassen kann uns das nehmen. Wir jubeln mit: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen?

Aus unserer Sicht und vor allem in unseren Herzen ist die Niederlage des Todes und aller Todesmächte dieser Welt besiegelt. Wir leben im Sieg über sie. Und können deshalb auch stets guter Dinge sein in diesem Leben und darüber hinaus. Das ist doch prima, oder?

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft und Unvernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus, unserem Todesüberwinder.

AMEN

14. Predigt am Sonntag Jubilate in Königschaffhausen und Leiselheim / 21.4.2024

Grundlage: 2. Korinther 4,14-18

Lesung aus dem 2. Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth im 4. Kapitel die Verse 14-18. Der Apostel schreibt: Denn wir wissen, dass der, der den Herrn Jesus auferweckt hat, wird uns auch auferwecken mit Jesus und wird uns vor sich stellen samt euch. Denn es geschieht alles um euretwillen, auf dass die Gnade durch viele wachse und so die Danksagung noch reicher werde zur Ehre Gottes. Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. Denn unsre Bedrängnis, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit, uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig. 

Liebe Gemeinde,

„Das letzte Spiel kennt kein Unentschieden…“ Ich lese gerne Todesanzeigen. Ich erfahre darin etwas über Menschen, wann sie geboren wurden und wann sie gestorben sind. Manche sind jünger als ich. Ich versuche dann, mich in die Situation der Hinterbliebenen hineinzuversetzen. Ich finde es gut, wenn sie ihre Trauer und ihren Schmerz in der Todesanzeige ausdrücken. Manchen merke ich an, dass ihnen die Worte fehlen. Ich lese gerne, was oben auf der Todesanzeige steht. Da steht z.B. „Wenn ihr mich sucht, sucht mich in euren Herzen. Habe ich dort eine Bleibe gefunden, lebe ich in euch weiter.“ Oft lese ich von diesem Wunsch, der Verstorbene möge noch da sein und einen Platz haben in den Herzen der Menschen. Darin drückt sich aus, wie die Menschen miteinander gelebt haben und wie sie miteinander umgegangen sind. Ich will ja keinen Menschen in meinem Herzen tragen, der mich jahrelang verletzt hat. Ich will mich an keinen Menschen erinnern müssen, der mir das Leben schwer gemacht hat. Ich will ihn vergessen dürfen. Ich muss mich nicht nachträglich zur Liebe zwingen müssen. Und Liebe spricht aus so einem Wort: Sucht mich in euren Herzen. Und was gibt es zu suchen? Was gibt es zu erinnern? Das dürfte viel sein, ganz viel. Schönes, Erlebtes, Streit, Versöhnung, Urlaub, Erfolg und Scheitern, Aufstehen und weiter machen. Was das Leben eben ausgemacht und an guten Gefühlen getragen hat und weiterträgt. Sucht mich in euren Herzen. Darum kann mich jemand im Nachhinein gerne bitten. Aber ich entscheide, ob ich ihn oder sie suchen will. Und ich entscheide, ob und wie oft ich finden will.

Der heutige Ausschnitt aus dem 2. Korintherbrief will so gar nicht dazu passen. Paulus spricht auch von einem Toten. Aber er spricht von ihm als einem, der nicht im Tod geblieben ist, sondern von Gott auferweckt wurde. Er spricht auch davon, dass es da eine Verbindung gibt. Aber diese Verbindung beruht nicht auf einer Erinnerung. Sie beruht auf dem, was Gott an diesem Menschen getan hat. Er hat ihn auferweckt und deshalb konnte er auferstehen. Gott ist es, der eine Verbindung zu dem Auferstandenen ermöglicht. Der Raum dieser Erinnerung heißt Glaube. Der Glaube ist möglich, weil Gott an Jesus wunderbar gehandelt hat. Wir dürfen an Jesus glauben, weil unser Gott ein Gott des Lebens ist. Man kann nur an jemanden glauben, der lebt. Kein Moslem glaubt deshalb an Mohammed und kein Buddhist an Buddha. Die sind tot. Die Verbindung zu Jesus, sagt Paulus, geht weit über dieses Leben hinaus. Sie geht in die Ewigkeit hinein. Er sagt das mit diesen ungeheuren Worten: „Der, der Jesus von den Toten auferweckt hat, wird uns auferwecken mit Jesus.“ Es geht also um mich und dich. In erster Linie. Es geht um meinen und deinen Glauben an den auferweckten Jesus. Zum Tröster kann er uns werden, wenn wir ihn in unseren Herzen tragen und ihn dort aufsuchen. Er wird sich finden lassen und dann haben wir Gemeinschaft mit ihm. Diese Gemeinschaft wird von einem Versprechen getragen: Jesus bleibt. Die Beziehung zu ihm wird auch durch den Tod nicht unterbrochen. Das nennt Paulus das Ewige, das unsichtbar ist. Paulus will also auf das Unsichtbare in unserem Leben aufmerksam machen. Er sagt uns: Sucht dort. Geht den Weg vom Sichtbaren ins Unsichtbare. Dort werdet ihr sehen, was euer Leben trägt und tröstet. Der Weg ins Unsichtbare ist begleitet vom Loslassen all dessen, was uns das Sichtbare abverlangt. Letztlich, sagt Paulus, wird euch das, was ihr seht und beweisen könnt, nicht helfen.

„Das letzte Spiel kennt kein Unentschieden…“ Dieser Satz stand am Freitag dieser Woche über einer Todesanzeige. Und weiter stand da: „Platzverweis für Markus Koch. Fassungslos bleiben am Spielfeldrand zurück…“ Ich hatte mal einen Konfirmanden, der an einem Herzversagen gestorben ist. Ich habe ihn bestattet. Er war ein toller Fußballer. Er hat viele Tore geschossen. Auf seinem Grabstein war ein Fußballtor zu sehen. Für seine Eltern wurde das Fußballtor zum Sinnbild für das Tor zur Ewigkeit. Das tröstet sie bis heute. Doch kann man den Tod eines lieben Menschen als Platzverweis aus dieser Welt verstehen? Welches schlimme Foul hat er denn begangen, um des Platzes verwiesen zu werden? Oder wurde er grundlos des Platzes verwiesen? Das wäre schlimm! Und wer hat ihm die rote Karte gezeigt? Wenn es Gott wäre – was wäre das für ein Gott? Ein Gott, der die Menschen wegen einer Sünde oder aus einer Laune heraus des Lebens verweist und sagt: Geh mir aus den Augen! Für immer!?

Mir tut diese Todesanzeige im Herzen weh. Ich hätte den Angehörigen gewünscht, dass sie ein anderes Bild gefunden hätten für diesen Abschied und diesen Tod. Wenn es ein plötzlicher Tod war – und vieles spricht dafür – dann ist die Wut darüber mehr als verständlich. Wut ist die Schwester der Trauer. Ich wünschte den Angehörigen, dass sich ihre Wut in Klage verwandelt. Dann können sie Gott fragen: Warum? Und bleiben nicht allein mit irgendeiner fremden Macht, die ihrem Lieben die rote Karte gezeigt hat.

Nicht im Sichtbaren bleiben. Weil es nicht tröstet. Fußball ist ein Spiel. Das Leben aber ist kein Spiel. Das Leben geschieht 24 Stunden am Tag. Fußball ist max. 1 die Woche. Er erklärt uns nicht, was es für das Leben braucht.

Nicht im Sichtbaren bleiben. Den Weg ins Unsichtbare wagen. Dort warten die Schätze des Lebens auf uns. Und dort gilt: wer sucht, der findet.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft und Unvernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. AMEN

15. Traueransprache Helga Böttcher am 19.4.2024

JE VEUX von ZAZ

Gebt mir eine Suite im Ritz, die will ich nicht! Schmuck von Chanel, den will ich nicht! Schenkt mir eine Limousine, was soll ich damit? Gebt mir Personal, was soll ich damit? Eine Villa in Neuchatel, das ist nichts für mich. Schenkt mir den Eiffelturm, was soll ich damit?

Ich will Liebe, Freude, gute Laune. Euer Geld ist nicht das, was mich glücklich machen wird. Ich will mit der Hand auf dem Herz sterben! Lasst uns zusammen meine Freiheit entdecken, vergesst also all eure Vorurteile, willkommen in meiner Realität!

Ich habe genug von eurem guten Benehmen, das ist zuviel für mich! Ich esse mit den Händen, so bin ich! Ich rede laut und bin direkt, tut mir leid! Schluss mit der Heuchelei, sonst hau ich ab! Ich genug von der ganzen hohlen Phrasendrescherei! Seht her, ich trage es euch jedenfalls nicht nach. So bin ich eben!

Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde,

will mit der Hand auf dem Herzen sterben. Singt Zaz. Will mit der Hand auf dem Herzen sterben. Dass ein so unbeschwert daherkommendes Chanson vom Sterben spricht, ist ungewöhnlich. Denn es stellt uns vor die Frage: Wie will ich sterben? Diese Frage beantwortet Zaz, indem sie den Zusammenhang von Leben und Sterben herstellt. Sie singt: Ich will sterben, wie ich gelebt habe. Und wie will sie gelebt haben? Ohne Luxus – sie will keine Suite im Riz, will kein Schmuck von Chanel und keine Limousine – sie will nicht bedient werden und sie will kein Schloss und auch nicht hoch hinaus. Sie will also all das nicht, was die Mehrheit der Menschen nicht ablehnen würde, würde es ihnen angeboten werden. Was ist die Botschaft von Zaz? Der Mensch braucht keinen Luxus für ein gutes Leben. Er braucht zu essen, zu trinken, ein Dach über dem Kopf und überschaubare Schulden oder am besten gar keine. Der Mensch soll sich keine Sorgen machen müssen, ob er morgen satt wird. Wenn der Mensch hat, was er zum Leben braucht, ist er im Grunde zufrieden bis glücklich. Hat er das, dann merkt er aber bald, dass es da noch mehr gibt. Geliebt werden und lieben dürfen, Freude erleben, gute Laune und Glück. Zaz will ein bewegtes Leben – Freiheit entdecken, gute Manieren ablegen, wie ein Kind mit den Händen essen, laut sein und ehrlich. Zu ihrer Ehrlichkeit gehört, dass sie nichts am Hut hat mit Heuchelei und Phrasen. Zaz singt von einem erfüllten Leben. So singt sie es in unsere Herzen und so weckt sie in uns die Sehnsucht nach diesem sinnigen Leben. Ein Leben, voll von Freunde, guten Erlebnissen und Ausgelassenheit. Ein Leben, das nicht eingeengt wird von Heuchelei, Gerede und fremden Erwartungen. Möglicherweise wird es eine Sehnsucht bleiben. Doch eine Sehnsucht, die nicht zu Teilen auch wirklich wird, macht keinen Sinn. Ein wenig erkenne ich in dem Chanson von Zaz auch das Leben unserer Verstorbenen Helga Böttcher.

Am 18. April 1940 wurde sie in Freiburg geboren. Ein Tag also nach ihrem Geburtstag bestatten wir sie hier im Friedwald in Freiamt. Am 4. April 1954 wurde sie in Teningen konfirmiert. Leider war ihr Konfirmandenspruch nicht auffindbar. Auf den Tag genau 70 Jahre später bekam sie Besuch von ihrer Freundin Inge und kam am selben Tag ins Hospiz nach Freiburg. Drei Tage später ist sie dort verstorben. Es war ein Tag des Abschieds, abends noch von ihren drei Töchtern Josephine, Katharina und Simone. Die Arbeit auf dem Rathaus in Denzlingen war ihr wichtig. Träume sind Teil unserer Sehnsucht. Viele ihrer Träume sind nicht in Erfüllung gegangen. Doch Reisen nach Frankreich machten sie glücklich. Und dann sah sie das Meer und fühlte sich dort wie ein Fisch im Wasser. Da war sie in ihrem Element. Sie war getragen, sie konnte sich frei bewegen, unter- und auftauchen, sich vergessen und so manches andere auch und die Zeit vergessen. Auch das, was ihr das Leben schwer machte. Manch einer erkennt in dem, was Helga Böttcher zu tragen hatte, einen Sinn, wenn er sich das Leiden Jesu am Kreuz vergegenwärtigt. Das Karfreitagslied von Paul Gerhardt „O Haupt voll Blut und Wunden“ wurde als Trost für Menschen geschrieben, die in ihrem Leiden zu versinken drohten. Getröstet werden sie dadurch, dass sie wissen und spüren: Wir sind nicht allein. Sie glauben, dass Christus das Leid hinter sich lassen konnte, weil er von seinem Gott ins Leben aufgeweckt wurde. Das bedeutet: Leiden führt uns in die Klage. Nur die Leidende darf fragen: Warum? Wie lange noch? Und hoffentlich ist sie bei diesen Fragen nicht allein und muss sich dabei nicht oberflächliche Antworten anhören.

Will mit der Hand auf dem Herzen sterben. Als wollte sie sagen: ich war immer am Pulsschlag meines Lebens. Was ich dachte, was ich tat, kam von Herzen. Hand aufs Herz! Und jetzt lasse ich los. Die letzte Sehnsucht, die wir haben, ist, dass uns der Himmel an der Hand nimmt, wenn wir alles loslassen müssen. Auch das, was wir nicht leben durften, warum auch immer. Auch das, was wir falsch gemacht haben. Auch das, was wir anderen angetan haben. Auch das, wo andere an uns schuldig geworden sind. Und natürlich all das Vergängliche, woran wir nur allzu gerne unser Herz gehängt haben.

Will mit der Hand auf dem Herzen sterben. Es ist die Hand, die so viel gegeben und gearbeitet hat. Die Hand, die zeitlebens gerne mehr empfangen hätte. Liebe, Zuwendung, Zärtlichkeit, Verstehen. Es ist dieselbe Hand, die jetzt vom Himmel mit guten Gaben gefüllt wird. Glauben wir also, dass unsere Verstorbene Helga Böttcher vom Himmel gehalten ist.

AMEN

16. Predigt am Sonntag Quasimodogeniti in der Melanchthongemeinde Freiburg / 7.4.24

Grundlage: Evangelium nach Johannes 20,19-29

Liebe Gemeinde,

„Näher als unser Rock oder Hemde“ sei uns die Ewigkeit, meinte Martin Luther. Und damit sind wir bei Thomas. Über ihn schreibt das Johannesevangelium wie folgt: Thomas aber, einer der Zwölf, der Zwilling genannt wird, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Da sagten die anderen Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich’s nicht glauben. Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben! (Johannes 20,24-29)

Hört man Thomas, weiß man sofort: Das ist der Zweifler. Und man zeigt mit dem Finger auf ihn. „Du zweifelst. Das ist falsch. Glauben soll man. Und das machst du nicht.“ So habe ich das auch noch gelernt. Werde bloß kein Thomas!, hat man mir und vielen anderen Jugendlichen eingebläut. Wir sind keine Thomasse geworden. Einige wurden so glaubensblind wie Abraham. Andere haben erst gar nicht den Umweg über Thomas gemacht und sind gleich weggeblieben. Die meisten aber hat dieser als Zweifler abgekanzelte Thomas nicht in Ruhe gelassen. Ich habe wegen ihm auch die vorletzte Nacht fast nicht geschlafen. Nein! Thomas ist kein Zweifler. Niemand sagt das zu ihm. Die Jünger sagen es nicht. Und Jesus sagt was völlig anderes. Man meint ja, das Gegenteil von Glauben sei der Zweifel. Das stimmt aber nicht. Das Gegenteil von Glauben ist die Gleichgültigkeit. Und gleichgültig war Thomas nun wirklich nicht.

Zwei Beispiele:

Als Jesus gebeten wurde, den verstorbenen Lazarus in Betanien zu besuchen, war es Thomas, der Jesus unterstützte, indem er die zögerlichen Jünger aufforderte mitzugehen (Johannes 11,16ff.). Er war zu allem bereit. Er wäre ein Märtyrer geworden. Hauptsache, er war bei Jesus. Er zeigt, was Loyalität ist.

//Thomas! Du fehlst! // Dein Mut und deine Entschiedenheit fehlen.

Als Jesus seinen Jüngern offenlegte, diese Erde einst zu verlassen und ihnen die himmlischen Wohnungen schon mal einzurichten, sagte er zu den Jüngern: „Wo ich hingehe, den Weg wisst ihr.“ (Johannes 14,5) Alle nickten. Einer nickt nicht. Das war Thomas. „Wir wissen nicht, wo du hingehst. Und wie sollen wir den Weg wissen?“ (14,6) Thomas fragte hier nicht für sich selbst. Er war der Gruppensprecher. Er sprach aus, was alle denken.

//Thomas – deine Fragen! Sie fehlen uns. Du lässt dir kein X für ein U vormachen. Du willst es genau wissen. Du willst dir sicher gehen.

Wenn immer nur alle nicken – was ist dann gewonnen? Das ist es doch gerade, was man in den geistlichen Ausbildungszentren wie Jungscharen, Bibelkreisen, Evangelisationen etc. beabsichtigt, wenn Thomas als Zweifler abgestempelt wird. Man will verhindern, dass Fragen gestellt werden. Fragen, die tiefer gehen als das oft oberflächliche Gerede. Fragen, die Antworten auf künstliche Fragen infrage stellen. Fragen, die zeigen, dass es hier einer ehrlich meint und wissen will. Gerade in Glaubensdingen.

// Thomas. Du fehlst. Deinen Mut, deine Loyalität, deine Fragen brauchen wir.

Und dann fehlt er einfach. Bleibt weg. Er konnte ja nicht wissen, was Historisches geschehen würde. Thomas ist eben auch Realist. Jesus ist tot. Das Leben geht weiter. Mein Leben geht weiter. Ich muss schauen, dass ich über die Runden komme. Es macht keinen Sinn, weiter an etwas sein Herz zu hängen, das vorbei ist. So schmerzhaft es auch sein mag. Als er dann auf die ehemaligen Weggefährten trifft, sagen sie ihm: „Wir haben den Herrn gesehen.“ Daran kann man festmachen, wie selektiv die Wahrnehmung von Menschen ist. Damals wie heute. Die Jünger haben Jesus nicht nur gesehen. Das klingt so, als wäre er einfach nur mal schnell vorbeigekommen und dann wieder gegangen. Aber so war es nicht. Sie haben ihn nicht nur gesehen, sie haben ihn auch gehört, weil er zu ihnen gesprochen hat. Nicht nur das. Sie haben auch etwas Entscheidendes von ihm empfangen: den Heiligen Geist und die Vollmacht, Sünden zu vergeben oder zu behalten. Das alles erzählen sie Thomas nicht. Warum nicht? Er könnte sie ja fragen: War das alles? Gesehen und weiter nichts? Macht er aber nicht. Er ist klug. Er will mehr. Er will weiterkommen. Und so erweitert er die Ebene der sinnlichen Wahrnehmung. Er will Jesus nicht einfach sehen wie die Jünger. Er will den verwundeten Jesus sehen. Seine Nägelmale. Er will aber auch seinen Finger in die Wunden Jesu legen. Er will Jesus spüren. „Dann will ich glauben.“, sagt er. Jetzt muss man wissen, dass das jüdische Recht eine Zeugenrecht ist. Wenn in einem Klageverfahren die Aussagen der Zeugen übereinstimmten, gab es ein Urteil. Das Geständnis eines Angeklagten zählte nicht. Wenn man das zugrunde legt, dann macht Thomas etwas Ungeheuerliches. Indem er den gleichlautenden Aussagen seiner Freunde nicht glaubt, untergräbt er das geltende Recht. Ja! Wo kommen wir denn hin, wenn Einer plötzlich Fragen stellt, alles selbst überprüfen will und sich nicht mehr an das Gesetz hält und an das, was alle sagen!?

Was für den Auferstandenen galt, erfahren wir jetzt.  Jesus wäre nicht der Auferstandene, hätte er diese Worte des Thomas nicht gehört. Der Auferstandene hört. Hört zu. Versteht. Erfüllt ist, was in Psalm 139 steht: „Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, Herr, nicht schon wüsstest.“ (139,5) Ohne Thomas kommen wir nicht in die Tiefen der Spiritualität. Mit ihm kommen wir zur Quelle. Der Auferstandene versteht. Er kommt noch einmal zu den Jüngern. Dieses Mal ist Thomas dabei. Jesus könnte ihm jetzt den Kopf waschen oder Vorwürfe machen oder ihn vor den anderen bloßstellen und ihn so zum Außenseiter machen. Das macht Jesus aber nicht und so ist er ganz der Papa, der Abbá. Er liebt die Menschen. Aber er duldet nicht alles an ihnen. Doch vor allem und in allem liebt er die Menschen. So ist seine Zuwendungslust zu erklären. Auch als Auferstandener. Zuerst spricht Jesus die Jünger an: „Friede sie mit euch!“ Und dann widmet er sich Thomas. Nur ihm. Augenhöhe. Jedes Wort von ihm eine Liebeserklärung. „Thomas! Hier bin ich. Komm. Mach. Lege deine Finger in meine Wunden.“ Das brauchte es nicht. Thomas machte es nicht. Die Worte des Auferstandenen reichten, um ihn in seiner Tiefe zu erschüttern. Unter Tränen gestand er Jesus: „Mein Herr und mein Gott!“

Thomas. Danke. Jesus. Danke.

Thomas wollte Jesus wahrhaftig erleben. Dass Jesus ihm die Möglichkeit eröffnete, reichte für das seelische Erdbeben. Thomas hat es nicht getan. Er hat Jesu Wunden nicht berührt. Er war so nah dran. Doch er hat mehr sehen dürfen als die anderen. Er hat tiefer gesehen. So tief, dass in ihm die Worte wahr wurden, die im Propheten Jesaja stehen: „Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ (Jesaja 53,4) Thomas hat in Augenhöhe mit dem Auferstandenen seinen Frieden gefunden. Thomas steht für den spirituellen Menschen.

Kirche, liebe Gemeinde, ist immer beides. Die Gemeinschaft der Glaubenden. Dafür stehen die Jünger. Und die Einzelnen. Dafür seht Thomas. Die also, die Fragen stellen und wissen und erfahren wollen. Die dürfen nicht fehlen. So sei die Kirche eine Gemeinschaft der Lernenden. Die Glaubenden lernen von Thomas das Fragen. Und Thomas lernt von den Glaubenden das Glauben. Das wird spannend!

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn und Gott. AMEN

17. Predigt am 18.2.24 in der Melanchthongemeinde Freiburg / Sonntag Invocavit

Grundlage: Evangelium nach Matthäus 4,1-11

Liebe Gemeinde,

Jesus ein Eremit. Nicht freiwillig. Geführt. In die Einöde. Vom Geist. Wozu? Um versucht zu werden. Vom Diabolos. Da gibt es eine erstaunliche Parallele zum Glaubensbekenntnis. Ist euch mal aufgefallen, was da steht? Für das Leben Jesu auf dieser Erde stehen da lauter Passivverben: geboren – gelitten – gekreuzigt – gestorben – begraben. Sozusagen ein 5 G-Leben. Geboren – gelitten – gekreuzigt – gestorben – begraben. Und man fragt sich unwillkürlich: War das Leben Jesu nur ein passives Leben bzw. ein durch und durch gelebtes Leben? War Jesus einer, der das Leben vor dem Tod nur erlitten und alles hingenommen hat ohne zu Murren? Was die Kirchenväter im 4. Jh. nach Christus bewogen hat, Jesus sofort nach dem Geboren werden leiden zu lassen, erschließt sich teilweise schon aus seinem Leben. Aber dass so gar nichts gesagt wird von seinem Reden und Wirken, ist seltsam. Wenn man aber die unsichtbare Seite betrachtet, doch nicht so seltsam. Denn man fragt sich: Wann hat Jesus mal was aus eigenen Stücken heraus getan? Wann begegnen wir seiner Selbstwirksamkeit? Das erste Wort im Credo heißt: hinabgestiegen. Das erste Aktivverb. Hinabgestiegen. Dieses Hinabsteigen folgt direkt auf begraben. Also ist doch die Frage: Was ist zwischen begraben und hinabgestiegen passiert? In einem Bereich, der uns Lebenden verschlossen ist? Wer in ein Grab schaut, kann sich nicht vorstellen, dass da noch etwas Entscheidendes passieren könnte. Doch hier bei Jesus passierte es. Hinabgestiegen in das Reich des Todes. Also muss doch der tote Jesus lebendig gemacht worden sein. Denn als Toter kann er ja nichts machen. Interessant ist, dass wir nicht erfahren, wie Jesus lebendig wurde. In diesen Raum dürfen unsere Gedanken nicht vordringen. Es ist ein Geheimnis. Möglicherweise wird in diesem Zeit-Raum zwischen Begraben und Hinabgestiegen die göttliche Liebe aufgeblüht sein. Eine Kraft, die stärker ist als der Tod. Ein Hauch, ein wirkmächtiges Säuseln des Lebensgeistes Gottes hat Jesus aufgerichtet. Damit er wieder gehen konnte. Und zum ersten Mal erfahren wir, dass er eine Aufgabe und ein Ziel hat: er soll die Toten besuchen. Er soll ihnen, den Vergessenen, eine Hoffnung bringen. Er soll ihnen den Weg weisen, den er selbst gehen wird. Und deshalb heißt es: am dritten Tage auferstanden von den Toten. Wir halten fest: Jesus wurde auferweckt, damit er nach der Totenvisite auferstehen konnte.

Es bleibt also ein mehr als spannendes Zeugnis davon, wie die Kirchenväter und Verfasser des Credo Jesus verstanden haben. Er hat zu Lebzeiten getragen, was ihm zu tragen aufgegeben wurde. Sein Erlöser sein hat er durch die Auferweckung aktiv gelebt, indem er vor seiner Auferstehung die Toten besucht hat.

Gehört die Versuchungsgeschichte in diese Reihe? Ich lese aus  dem Matthäusevangelium im 4. Kapitel: Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat herzu und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.« Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: »Er wird seinen Engeln für dich Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.« Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben: »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel herzu und dienten ihm.

Im ersten Satz dieses Berichts gleich wieder zwei Passivverben: geführt und versucht. In eine Einöde. Er nimmt es hin. Er lässt es zu. Er weiß ja nicht, was auf ihn zukommt. Jesus hat sich später in seinem Leben immer wieder mal zurückgezogen. Doch hier geht es gleich hart auf hart. Das dritte Passivverb folgt auf dem Fuß: es hungerte ihn. Hunger sucht sich niemand aus. Also: geführt – versucht – hungernd. Das einzig Aktive ist, dass Jesus gefastet hat. Aber eigentlich gehört das auch in diese Passivreihe: geführt – versucht – hungernd – gefastet. Und jetzt muss doch mal was passieren? Einer wird aktiv. Der Versucher. Der Diabolos. Der Durcheinanderbringer. Was durch ihn in das Leben Jesu kommt, bevor er öffentlich wirken wird, ist starker Tobak. Und ich möchte gleich sagen: das ist keine Glaubensprobe. Das ist auch kein geistlicher Härtetest. Es ist eine Machtdemonstration. Am Ende ist Jesus der Sieger. Der Diabolos schleicht sich davon. Später wird es heißen: Jesus sah ihn wie ein Blitz vom Himmel fallen. Da muss er ziemlich hart auf der Erde aufgekommen sein.

Was also ist passiert? Jesus gewinnt die Machtprobe. Er beweist sich als die Autorität schlechthin. Und zwar als eine Autorität, die ihm die Thora schenkt. Drei Mal antwortet Jesus mit der Autorität der Thora. Drei Mal zitiert er sie zielgerichtet. Ein wirkmächtiges Wort ist dieses Wort der Thora, das dem allseits bekannten Diabolos die Flügel stutzt.

Bei seinem ersten Versuch nimmt er die Sündenfallgeschichte auf. Komm schon, Jesus. Nimm den Stein. Du weißt doch, dass er sich in deinen Händen zu Brot verwandelt. Schmeicheln, damit man schwach wird – das kann er, der Versucher. Jesus antwortet mit einem lupenreinen Thorazitat: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes kommt.“ (Dtn 8,3) Autorität! Der Diabolos unternimmt einen zweiten Versuch. Nachdem es mit der Thora nicht geklappt hat, kommt er jetzt mit einem gewichtigen Wort aus Psalm 91: Gott befiehlt seinen Engeln, dich aufzufangen. Jesus, in der Thora firm, erwidert: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“ (Dtn 6,16) Autorität! Das war´s denn auch schon mit der Kenntnis der Heiligen Schriften. Der Diabolos schöpft jetzt aus dem eigenen Kanon. Alle Macht der Welt für dich, Jesus. All in. Jesus, in der Thora firm, erwidert: „Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.“ (Dtn 6,13) Autorität! Damit meinte JEsus auch den Diabolos. Aber der hatte dazu keine Lust, Gott zu dienen. Er dient nur sich selbst.

Das könnte das Geheimnis dieser Passivverbenreihe des Credos sein, der wir auch hier in der Versuchungsgeschichte begegnen. In allem, was Jesus ertragen musste und ihm an Feindschaft widerfahren ist, ist eine Kraft am Wirken gewesen, die ihn getragen hat. Ein Verwurzelt sein in Gottes Wort, das ihm eine Autorität verliehen hat, der niemand beikam. Nicht einmal sein größter Widersacher.

Dadurch hat Jesus einen Grundstein gelegt für alle, die sich entscheiden, ihm zu vertrauen. Sei verwurzelt in Gottes Worten! Das hilft dir standzuhalten! Du bist nichts und niemandem ausgeliefert!

Und die Kraft Gottes, die höher ist als alle Versuchung, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

AMEN

18. Traueransprache Helga Voegele am 16.2.24

Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde,

jetzt – mitten im Abschied – hören wir auf Gottes Wort. Lassen wir dieses Wort aus Psalm 37 für uns gelten: „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn; er wird’s wohl machen.“ Paul Gerhardt hat es so wohltuend in das Lied geformt hat, das wir nach dieser Ansprache singen werden.

„Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn. Er wird´s gut machen.“

Nehmen wir dieses Wort heute für uns an, nicht als Aufforderung, nicht als ein Muss, nicht als ein Appell, nicht als etwas, das wir tun müssen oder als eine Erledigung – aber als eine Ermutigung, wie eine ausgestreckte Hand, die uns einlädt zum Weitergehen.

„Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn; er wird’s wohl machen.“ Paul Gerhardt hat daraus in der 1. Strophe gedichtet: „Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt.“

Diesen Mut spricht uns einer zu, der sich und das Leben kennt. Er kennt vor allem die Wege, die Menschen aus eigenem Willen heraus gehen. Er weiß, was Menschen wählen – oft aus guter Absicht heraus. Er kennt die Wege, die Menschen gehen, weitergehen bis zum Ende. Er kennt auch die Wege, die Menschen abbrechen – oft zu ihrem Guten, manchmal auch zu ihrem Schlechtem. Wer weiß das vorher schon so genau. Und er kennt die Fragen, die sich unterwegs bei den Menschen einstellen: Wie weit noch? Geht es noch? Bleibt mir noch Kraft? Gehe ich richtig?

Der, der sagt „Befiehl dem Herrn deine Wege…“ der kennt auch die Wege, die plötzlich enden, weil ein anderer eine Schranke zieht. Er weiß, dass Wege in einer Sackgasse führen und im Niemandsland aufhören können. Weil er die Menschen kennt, kennt er ihre Wege. Gute Wege, gerade und krumme, Umwege, Holzwege, Irrwege…

Gleich welcher Weg es gerade ist und welche es auch waren und welche es auch sein werden: Vertrau dich Gott an und hoffe auf ihn. Er kommt dir entgegen. Die Zukunft ist sein Land.

Doch da sind auch die Wege, die Menschen nicht aus eigenem Willen heraus gehen möchten. Wege, auf die sie geschickt oder gar gezwungen werden. Manchmal sind diese im Rückblick in der Mehrheit und bleiben für uns ein Rätsel. Doch gerade auf solchen Wegen können wir wachsen und reifen. Sie können uns zu weisen Menschen machen, so dass wir etwas mehr Nachsicht üben, etwas mehr barmherzig sind, weniger fordern und mehr geben, als wir nehmen.

Wege kennzeichnen unser Leben. Sie, liebe Angehörige, waren Teil des Lebensweges von Helga Voegele. Als Kind musste sie ihre Heimat verlassen und sich neu finden in einer unbekannten Gegend. Da hat sich in ihrer Seele eine Sehnsucht eingenistet nach einem Halt, einer Familie, einem Bleiben dürfen und Geschützt werden. Dass sich die Fürsorge für ihre Familie wie ein roter Faden ihres Lebens hervortut, zeugt davon.

Doch der Blick auf den Lebensweg von Helga Voegele lehrt uns Lebende, dass Wege auch weitergehen können und dass es eine Hoffnung gibt. Man findet eine neue Heimat. Man kann sich zusammenraufen und ein Haus bauen. Man kann Familie gründen. Man kann füreinander da sein. So durfte ihr manches gelingen. Doch letztlich mögen wir eingestehen, dass der gnädige Gott sie geführt hat. So drückt es Paul Gerhardt in der 8. Strophe des Liedes aus: „Ihn, ihn lass tun und walten, er ist ein weiser Fürst und wird sich so verhalten, dass du dich wundern wirst, wenn er, wie ihm gebühret, mit wunderbarem Rat das Werk hinausgeführet, das dich bekümmert hat.“ Danken und sich Wundern können die, die Gott ihren Lebensweg anvertrauen.

„Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn; er wird’s wohl machen.“ Dazu will uns also Einer Mut machen, der beide Wegarten kennt: die wir gehen aus eigenen Stücken und freiem Willen und die, die uns widerstreben. Er weiß, was alles geschehen kann und er weiß, wie gefährdet das Leben ist und dass beschützt werden muss. Darum will er Mut machen: „Nimm alles zusammen, was du hast an Dank und Bitte, Sorge und Klage, Fragen und Rätsel, alles, was zurückliegt, jetzt gerade ist und du denkst, was passieren könnte – und halte es Gott hin. Bitte ihn aus vollem Herzen: Mach du was Gutes daraus. Ich schaffe es nicht allein. Ich brauche dich.“

So will er unseren Blick wenden weg von uns und unserer Schwachheit hin zu Gott, dem nichts unmöglich ist – versprochen! – und zu Jesus Christus, den Gott für uns zum Lastenträger gemacht hat. Wir müssen ihm nur erlauben, dass er es tun darf. Dann wird es gut. Dann wird aus dem Ende ein Anfang und eine kleine Hoffnung kann keimen.

Helga Voegele geben wir in seine Hand. Er möge sie mit seinem Frieden umhüllen.

Und der Friede Gottes begleite euch auf euren Wegen. AMEN

19. Traueransprache Amalie Schmidt am 15.2.2024

Liebe Angehörige, liebe Trauergemeinde,

„Keine Sorge. Es wird.“ Zwei Sätze, die einer sagen könnte, der aussät. „Keine Sorge. Es wird.“ Und er wirft die Saat auf das Land. Die volle Hand leert sich sekundenschnell. „Keine Sorge. Es wird.“ Sagt er sich, wenn er das Feld überblickt, das er eingesät hat. Ob nun wie früher von Hand oder heutzutage mit dem Traktor. Die Worte bleiben die gleichen. „Keine Sorge. Es wird.“

Warum? Weil nicht einmal die Saat das ist, was ein Mensch selber machen kann. Die Saat kommt aus der Ernte des Gesäten. Was gesät wird, geht nur durch die Hände des Säenden. Aber hergestellt hat er sie nicht. Wenn eine Sorge, dann gilt sie der Saat. Denn sie kann aufgehen oder nicht. Sie kann auf guten Boden fallen. Sie kann zertreten werden. Sie kann erstickt werden. Sie kann austrocknen. Die Sorge gilt der Saat – wenn überhaupt. Dass aus einem Kleinen etwas Größeres werden kann. Etwas von Wichtigkeit für andere. Satt werden zum Beispiel. Das berühmte tägliche Brot, das für so viel steht, was der Mensch braucht, um Mensch sein zu können.

Gott sorgt sich um sein Wort. Seine Worte sind die Saat für die Erde. Wenn Gott sät, ist er nicht wählerisch. Er sortiert den Boden vorher nicht aus. Gott sorgt sich in Hoffnung um sein Wort. Er gibt jedem einzelnen Wort, das er ausstreut, einen Funken Hoffnung mit: „Aus dir wird was!“ Anders könnte Gott gar nicht säen. Anders könnte er nicht hoffen. Anders könnte er nicht Gott sein. Denn durch sein Wort soll eine Welt entstehen, ein kleiner, ein großer Kosmos. Er nimmt es in Kauf, dass sein Wort, das voll ist mit seiner Hoffnung, zertreten wird, zerfällt, zwischen Dornen erstickt, verhungert und verdurstet. Und er freut sich, wenn er es aufgehen sieht, wenn aufblüht, was er an Hoffnung hineingelegt hat.

Das geht jedem so, der aus dem Wort Gottes lebt und es an andere weitergibt. Und dann wird es gehört. Wie dieses eine Wort: „Das aber auf dem guten Land sind die, die des Herrn Wort hören und bewahren in einem guten und feinen Herzen und tragen Frucht in Geduld.“ Dieses Wort hörte Amalie Schmidt am 25.2.1945 hier in dieser Kirche von ihrem Pfarrer zu ihrer Konfirmation. Da war sie 14 Jahre alt. Sie wurde zu einer Zeit konfirmiert, in der die Welt in Trümmern lag. 2 Monate später war der Krieg aus. Wurde Deutschland befreit? Die Wunden, die der Krieg schlug, werden noch lange nicht verheilt sein. Die seelischen zumal. „Das aber auf dem guten Land sind die, die des Herrn Wort hören und bewahren in einem guten und feinen Herzen und tragen Frucht in Geduld.“ Gott hat nicht aufgehört, sein Wort auszuteilen in die Herzen der Menschen. Doch das gute Land hatte sich für ihn verschlossen. Was brauchen wir Gottes Wort! Wir haben uns selbst! Wir können alles selber machen! Der Konfirmator von Amalie Schmidt hat sehr wohl an seine Konfirmandin gedacht, als er dieses Wort für sie wählte. Als wollte er ihr damit mit auf den Lebensweg geben: „Amalie, dein Leben ist das gute Land. Du hast ein offenes Herz für Gottes gutes Wort. Du bist bereit, es in deinem Herzen zu bewahren. Und du wirst sehen. Da wird viel Gutes entstehen.“ Gottes Wort aufnehmen und bewahren – darauf liegt ein Segen. Wen wundert´s, dass Amalie Schmidt für viele Menschen zum Segen wurde? Mit ihrem Blumengeschäft, in dem sie voll und ganz aufging.

Als ich vor einigen Tagen selbst in ihrem ehemaligen Laden stand, meinte ich für einen Moment zu erleben, wie das so war Tag für Tag. Die Ladentür so gut wie immer geöffnet. Menschen kommen herein. Es duftet nach Blumen, nach Reisig. Eine Welt für sich. Doch man kommt ja nicht nur, um einen Strauß zu bestellen oder einen Kranz abzuholen. So viel Geschäft war dann doch nicht. Man kommt ja auch zum Reden – zumme Schwätzle halte – wie man so sagt. Und wieviel Trostfrucht ist da aufgegangen, wenn man sich mal die Sorgen von der Seele schwätze konnte. So war das Geschäft von Amalie Schmidt nicht nur ein Blumenladen, sondern auch ein Ort der Begegnung. Solche Orte der Begegnung sind guter Boden für gute Worte. Wir brauchen wieder solche Orte, wo man sich auf Augenhöhe begegnen, sich die Sorgen von der Seele reden und wo sich ein Herz dem anderen öffnen kann. Da kann was entstehen, wo die eine zur anderen sagt: „Keine Sorge. Es wird.“ Und der Weg nach Hause duftet nach Hoffnung und Trost.

Nicht immer ist man das gute Land. Nicht immer ist man aufnahmebereit. Das will das Gleichnis Jesu, zu dem der Konfirmandenspruch von Amalie Schmidt gehört, auch sagen. Jedes gute Land hat auch mal schlechte Zeiten. Mit Leichtsinn zertritt man die guten Worte, die andere sagen. Man lässt links liegen, was einem die Mitte stärken könnte. Man ist nicht bereit, gute Bedingungen zu schaffen und so erstickt in Gleichgültigkeit, was ein anderer mir aus Sorge um mich gesagt hat. Wieviel Gutes ist verdorben, weil wir meinten, es besser zu wissen?

Amalie Schmidt hatte Schicksalsschläge zu verkraften. Das war hart, wie sie selber ehrlich geschrieben hat. Aber sie machten sie nicht hart. Sie blieb die Rose im Blumenhaus. Wir trauern heute um die verwelkte Rose. Doch hören wir von gar nicht so weither, wie Gott uns zuruft: „Keine Sorge. Es wird.“ Also dürfen wir heute das gute Land sein, auf das ER seine Worte sät. Und wir dürfen Amalie Schmidt ihrem Schöpfer anvertrauen und sehen, wie sie in seiner Gegenwart in voller Gänze aufblüht – für alle Zeit.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Sorge, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. AMEN

20. Predigt am 4.2.2024 in Ringsheim und Herbolzheim / Sexagesimae

Grundlage: Evangelium nach Markus 4,26-29

Liebe Gemeinde,

es war alles für ihn. Es war sein Lebensinhalt. Es war sein Grund und Ziel. Er ging vollkommen in ihm auf. Was er dachte und fühlte, war voll und ganz ihm gewidmet. Mit Haut und Haaren hatte er sich ihm verschrieben. Er lebte in ihm wie der Fisch im Wasser. Etwas anderes als das konnte er sich nicht in seinem Leben vorstellen. Hätte ihm das jemand weggenommen, wäre er zerbrochen an der Leere, die das bei ihm ausgelöst hätte.

Jesus und das Reich Gottes waren eine Einheit. Und doch war das Reich Gottes viel größer und höher als er. Es war sein Lebensthema. Es war seine Lebensliebe. Es füllte sein Herz aus, seine Gedanken und seine Worte. Jesus ohne Reich Gottes wäre wie Luft ohne Sauerstoff.

Jesus hat im Reich Gottes sein Lebensthema gefunden. Oder anders gesagt: er hat seine Antwort auf die große Frage gefunden: Was lohnt sich, gewollt zu werden? Nicht viele bekommen darauf eine Antwort. Was lohnt sich, gewollt zu werden? Diese Frage führt nämlich über einen selbst hinaus in eine Tiefe und Weite, in der man ergriffen, fasziniert oder erschüttert wird. Und dann weißt du es. Und dann geh nicht einfach zur Tagesordnung über.

Für Jesus war die Antwort „Reich Gottes“. Ihm hatte er sich verschrieben. Dieses Hohe, dieses Göttliche, dieses Heilige, dieses so Elementare, dieses so unbedingt Nahe hätte er mit keinem anderen Gut der Welt eingetauscht – mit keinem Lottogewinn, mit keinem Adelsstand, mit keinem mächtigen Amt und keinem Erfolg. Es nahm ihn komplett in Beschlag und deshalb konnte er es auch nicht mit einer Frau teilen. Jesus entschloss sich nicht zu heiraten. Jetzt ist das heute nicht einmal eine Fußnote wert wo auch immer. Aber damals war das undenkbar. Denn ein jüdischer Mann musste verheiratet sein und ein Rabbi sowieso. Denn er musste die Thora erfüllen, in der stand: Seid fruchtbar und mehret euch. Und deshalb musste ein jüdischer Mann verheiratet sein und viele Kinder bekommen. Schließlich wollte man ja auch das Passa feiern und sich an die Befreiung aus Ägypten erinnern und wie sollte das gehen, wenn man unverheiratet war und keine Kinder hatte? Beim Passa feiert die ganze Familie und das ganze Judentum weltweit den einzigartigen Akt der Befreiung aus Unterdrückung, Demütigung und Ausbeutung. Und der Jüngste am Tisch – nur das Jüngste! – musste oder durfte die Frage der Fragen stellen: Was unterscheidet diese Nacht, die jetzt kommt, von den anderen Nächten des Jahres? Und die Antwort darauf gab der Hausvater.

Und Jesus unverheiratet. Er hat nie mit seiner eigenen Familie Passa gefeiert. Er hat es mit seinen Jüngern getan. Er war nie Vater. Aber er hatte einen Vater, den er Abba nannte. Er hatte eine Mutter, die ihn zielstrebig in der Thora unterrichtete. Und dort steht: Du sollst Gott lieben. Und er, Jesus, sollte das nicht tun? Vielleicht war es gerade dieses Gebot: Du sollt Gott lieben in vollem Umfang!, dass er diese Liebe nicht mit einer Frau teilen konnte. So war er Single sein Leben lang. Er hatte eine Familie. Doch er sah dieses Gebilde nicht als eine biologische Schicksalsgemeinschaft an. Er löste sich von ihr. Und da griff das Reich Gottes zum ersten Mal: Mutter und Geschwister sind mir die, die den Willen Gottes tun. Geistliche Familie also und doch so fassbar in konkreten lebendigen Menschen, die ihn umgaben.

Reich Gottes war für Jesus die große Wende zum Guten. Denn die Zeit ist reif. Das Reich Gottes kommt. Wie ein Kind, das von weither auf die Welt kommt. Oder ein Zug, der von weither in den Bahnhof einfahren wird. Jesus hat klare Prioritäten gesetzt und gesagt:
• Trachtet als erstem nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit. Alles andere kommt dann schon.
• Selig (zu beglückwünschen seid) Ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes.
Reich Gottes ist das Gebiet, wo der Wille Gottes herrscht und getan wird – und kein Meditationsgegenstand in einem gemütlichen Umfeld.

Mit Bildern aus der Lebenswelt der Menschen hat Jesus sein Thema vertieft und verbreitet. Heute so: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und steht auf, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. Von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn aber die Frucht reif ist, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.
Jesus gibt keine vollumfassende Antwort darauf, was das Reich Gottes ist. Was er sagt, soll die Tiefe im Menschen erreichen. Was also ist der Mensch und welches sind seine wichtigsten Tätigkeiten – gemäß des Reiches Gottes? Säen, was ihm nicht gehört / schlafen / aufstehen / schlafen / aufstehen / schlafen / aufstehen=gesunder Lebensrhythmus / staunen über das Wunder des Wachsens / ernten lassen.

Reich Gottes ist also etwas zutiefst Menschliches. Ein Mensch, der sät, schläft, aufsteht, staunt und ernten lässt – kann überall auf der Welt sein. Und jetzt schauen wir doch mal genau hin: was wäre denn der Mensch ohne das alles? Ohne säen, was ihm nicht gehört, schlafen und aufstehen, staunen und ernten lassen? Na!? Ein Hamster im Rad. Ein Egoist. Ein Verirrter. Ein Massenvernichter. Ein Dauernachtschwärmer. Ein Gefangener seiner Gier. Er lebte an seiner Bestimmung vorbei, ein Mensch zu sein. Er würde sich selbst verpassen und sich sein Wesen schuldig bleiben, ein Mensch zu sein und als Mensch zu leben. Denn nur so kann es auch menschlich zugehen in der Welt. Seht, welch ein Mensch!, rief der römische Hauptmann aus, der half, Jesus hinzurichten. Und dieser Mensch – dieser Mensch! – war Gottes Sohn (Mk 15,39).
Im Reich Gottes ist der Mensch einfach ein Mensch: angewiesen auf das, was Gott wachsen lässt und andere für ihn tun. Er nimmt es in die Hand, um es wieder loszuwerden. Und am Ende lässt er ernten, damit er und andere satt werden. Reich Gottes eben!
Eine Bemerkung zum Schluss. Wir feiern jetzt das Heilige Abendmahl. Zur Zeit Jesu gab es zwei Arten von Brot. Das Brot aus Weizen und das Brot aus Gerste. Das Weizenbrot war Reichenbrot. Das Gerstenbrot war Armenbrot. Das hat Jesus ausgeteilt. Und um dieses Brot geht es ihm Gebet Jesu: Das Brot, das notwendige, gib uns heute!
Reich Gottes eben!

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft und Unvernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. AMEN

21. Predigt am 14.1.2024 in Eichstetten / 2. nach Epiphanias 

Grundlage: Hebräer 12,12-18

Liebe Gemeinde,

ein „harter Brocken“ sei er, der Hebräerbrief, meinte Martin Luther. Doch damit nicht genug. Über den Hebräerbrief fällte er ein noch härteres Urteil. Er meinte, er sei „nützlich und gut zu lesen“, aber was Christum treibet sei in ihm nicht zu erkennen. Deshalb hat Martin Luther diesen Brief mit anderen Schriften des NT wie den Judasbrief und die Offenbarung des Johannes an den Rand des NT gesetzt. Und während er die aus seiner Sicht richtigen Schriften durchnummeriert hat, hat er den Schriften dieses Anhangs nicht einmal eine Nummer verliehen. Der Grund, den Hebräer so abzuwerten und an den Rand zu drängen, liegt im Hebräer selbst. Was Luther nicht gefiel, war folgendes: der Hebräer macht seinen Lesern klar, war für sie auf dem Spiel steht, wenn sie das ihnen angebotene Heil, von dem sie schon gekostet haben (6,4), missachten und Christus den Rücken kehren. Wenn sie wieder in ihr altes Leben zurückfallen, als sei dies alles nicht geschehen, dann wird ihnen nicht vergeben werden und sie bleiben für immer vom Heil ausgeschlossen. Das hat Luther vehement abgelehnt. Sola gratia eben. Drohungen brauchen wir in der Kirche bestimmt nicht. Doch wie gehen wir mit der Beliebigkeit um, die sich in Glaubensdingen ausbreitet? Wie gehen wir mit den Menschen um, die sich in einem ausgehölten Glauben eingerichtet haben? Die müde geworden und erschöpft sind, weil ihr Glaube den Anflutungen einer verwirrten Welt nicht mehr standhält? Wir sollten sie aufsuchen, ihnen Mut machen und ihnen den Wert unseres Glaubens wichtigmachen. Und wenn sie sagen: Ich möchte nicht mehr. Ich wende mich ab.? Ich trete aus. Drücken wir uns dann vor der Konsequenz, die der Hebräer aufzeigt? Zu sagen: Dann ist das das Ende. Es gibt kein Zurück mehr.

Es ist doch so: Gnade braucht die Wahrheit, sonst wäre sie billig. Und die Wahrheit braucht die Gnade. Sonst könnten wir sie nicht ertragen. Doch davor ist es einfach erst mal nur der geschwächte Glaube. Dazu sagt der Hebräerbrief folgendes: „Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie und tut sichere Schritte mit euren Füßen, dass nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde. Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird, und seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume; dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte und viele durch sie verunreinigt werden; dass nicht jemand sei ein Gottloser wie Esau, der um der einen Speise willen sein Erstgeburtsrecht verkaufte. Ihr wisst ja, dass er hernach, als er den Segen ererben wollte, verworfen wurde, denn er fand keinen Raum zur Buße, obwohl er sie mit Tränen suchte. Denn ihr seid nicht zu etwas gekommen, das man anrühren konnte und das mit Feuer brannte, nicht zu Dunkelheit und Finsternis und Ungewitter. Sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln und zur Festversammlung und zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abels Blut. Seht zu, dass ihr den nicht abweist, der da redet. Denn wenn jene nicht entronnen sind, die den abwiesen, der auf Erden den Willen Gottes verkündete, wie viel weniger werden wir entrinnen, wenn wir den abweisen, der vom Himmel her redet.“

Um das Bleiben geht es also im Hebräer. Er ist kein Brief, sondern ein Lehrschreiben. Er will die Menschen lehren, was der christliche Glaube bedeutet, was seine Inhalte sind, damit sie Gründe genug haben zu bleiben, am Glauben festzuhalten und sich neu in ihm zu verwurzeln. Wenn jemand einem anderen was beibringt, will er, dass er sich das merkt und hinter die Ohren schreibt. Sonst macht ja Lehre keinen Sinn. Weder in der Schule, noch an der Universität, in der Erziehung von Kindern und in der Kirche. Vielleicht haben wir gerade in der Kirche zu wenig davon – zu wenig Lehre. Was wissen wir noch vom Glauben?

Am Ende seiner Belehrung will der Hebräer, dass seine Ermahnung ernst genommen wird und dass man den Lehrern folgen soll, denn sie wachen über die Seelen. Im Griechischen steht da „parakläsis“. Das kann Ermahnung heißen, aber auch Trost, Zuspruch, aufbauende Ansprache. Das also ist der Sinn von Lehre: das Gegenüber auszustatten mit dem, was es an Wissen, an Trost, Zuspruch und Ermutigung will und braucht. Und die, die das machen, sind Seelsorger. Also ist jeder, der einem anderen etwas in Glaubensdingen lehrt, ein Paraklet: er ermahnt, er spricht gut zu, er tröstet. Lehre ist also auch Lebenshilfe, nicht nur strohtrockenes Auswendiglernen. In unserer Kirche wurde anfangs viel gelehrt. Dafür gab es die Katechismen. Vielleicht war es einfach zu viel und zu sehr vom eigentlichen Leben abgewandt, was man da lernen musste. Heute, meine ich, ist davon nicht mehr viel übrig. Stattdessen hat man sich darauf verlegt, den Glauben zu erleben und zu fühlen. Keine Lehre mehr? Ich glaube, wir sollten den Kern der Lehre als Lebenshilfe wieder entdecken.

Ein Beispiel: Was ist dein einzger Trost im Leben und Sterben? ist die erste Frage des HK. Antwort: „Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre.“ Zack! Wer hätt´s gedacht! Wer hat´s nicht gewusst? Getröstet leben hat entscheidend damit zu tun, dass ich weiß, wem ich gehöre. Meinem getreuen Heiland gehöre ich, sonst niemandem. Er ist mein Gott. Die Götter haben abgedankt: Neid, Missgunst, Gier, Größenwahn, Maßlosigkeit und wie sie alle heißen, diese toxischen Götzen, die uns selbst und unsere Gemeinschaften vergiften. Der Sinn von Lehre besteht darin, Wissen zu vermitteln. Denn nur aus einem fundierten Wissen heraus kann ein Bewusstsein und dann auch ein Selbstbewusstsein entstehen. Das brauchen wir doch als Christen mehr denn je, oder?

An Christen, deren Glaube auf der Kippe stand, wurde der Hebräer geschrieben. Müde Hände und wankende Knie – wenn es so weit gekommen ist mit dem Glauben, ist es höchste Eisenbahn. Dann muss was passieren. Dann muss man möglicherweise von vorne anfangen, wie es der Hebräer tun muss. Bei Adam und Eva, bei Abraham, Sara, Mose, Gideon und Barak, Simson und Jeftah, David und Samuel und den Propheten. Bis man beim Höchsten ankommt, bei Christus, dem Hohepriester, der ein für alle Mal alles für uns getan hat und uns bei Gott vertritt – oft mit einem nicht überhörbaren Seufzer. Wen wundert´s! Also: Lehren heißt den Glaubensweg nachvollziehen und dann sagen: Du gehörst dazu. Du bist ein unverzichtbarer Teil unserer Weggemeinschaft. Wenn du weggehen willst, lassen wir dich in Frieden gehen. Dann gehen wir ohne dich weiter. Ist es so? Oder nicht? Eigentlich müsste der Hebräer gerade deshalb wegen dieser wahrhaftigen Konsequenz in heutigen Zeiten im NT ganz vorne stehen. Martin Luther möge mir´s nachsehen.

„Ihr wisst ja!“ Das ist dem Hebräer wichtig. Was sollten wir unbedingt wissen als Christen? Dass wir von der Wirklichkeit des auferstandenen Christus umgeben sind – in Zeit und Ewigkeit. Ihm gehören wir. Durch ihn haben wir einen Glauben, der…

  • nicht schadet, sondern hilft
  • nicht runterzieht, sondern aufbaut
  • der Freude dient und nicht der Frustration
  • dass er gelassen macht und nicht wütend
  • Hoffnung stiftet und nicht Angst macht
  • tröstet und nicht bitter macht

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft und Unvernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. AMEN